Tag 5: Dornach

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Donnerstag, der 17.09.2015

Gestern bin ich das erste Mal in die Notunterkunft der Johanniter in Dornach gefahren. Ich blieb zwischen 20 und 1 Uhr dort und half beim Übersetzen, dabei kam es zu mehreren Situationen.

Situation 1

Ein junger Mann um die 25 aus Damaskus kommt zu mir und benötigt Hilfe mit seiner SIM-Karte. Es stellt sich heraus, dass sein Guthaben aufgebraucht ist. Er will Mechanik in Deutschland studieren. Er sagt, Deutschland ist das Land der Mechanik. Sehr schnell kommen wir auf seine Reise zu sprechen.
– Ich habe das Schlepperboot gesteuert.
– Wie meinst du das? Warst du sozusagen der Schlepper?
– Ich hatte kein Geld, um die Überfahrt zu zahlen, also musste ich das Boot steuern. Der Steuermann fährt nämlich umsonst. Es lag eine große Verantwortung auf meinem Rücken und sehr viel Druck.
– Warst du alleine unterwegs?
– Nein, mein Vater und mein 8jähriger Bruder waren dabei.
– Und wie war es?
– Gepriesen sei Allah, ich hatte viel Glück, das Meer war so glatt wie Öl. Es gab absolut keine Probleme.
Der junge Mann schien ein großes Mitteilungsbedürfnis zu haben, denn er fuhr gleich fort:
– Weißt du, am 2.9. vor genau 2 Wochen war ich noch in Damaskus an der Uni und ein Geschoss schlug neben mir ein.
– Du bliebst unversehrt?
– Ja, Gott sei Dank. Es war an der Uni. Das Geschoss schlug in dem Gebäude neben mir ein in die obere Etage. Überall waren Bombensplitter, mir passierte nichts aber meinen Freund, der neben mir stand, den hat es erwischt. Wir haben uns in einem Gebäude versteckt, 15 Minuten später schlug ein zweites Geschoss ein und tötete 4 Personen und niemand öffnete uns den Schutzbunker.
– Es gibt Schutzbunker in der Uni?
– Ja da sind überall Schutzbunker.
– Und warum hat die niemand geöffnet?
– Die sind dem Militär und den Angehörigen des Regimes vorbehalten.
Ich stellte mir die Situation vor. Als ich schwieg sagte er: „Als das erste Geschoss einschlug und Splitter meinen Freund trafen, haben sie ihn zerfetzt. Er lag neben mir auf dem Boden in seinem Blut. Ich habe den Anblick nicht ertragen. Ich konnte ihm nicht helfen, ich bin einfach weggegangen.“ Er sah mich mit verbittertem hoffnungsvollem Blick an als würde er hoffen, dass ich ihm etwas vergebe. „Weißt du, der Weg und die Reise waren wie eine Therapie, die mir geholfen haben das alles zu ertragen…“
In diesem Moment kam ein anderer Syrer dazu. Er fragte worüber wir reden. Enttäuscht unterbrochen worden zu sein, antwortete der junge Mann: „ach du weißt schon über Syrien und so…“ Ich verabschiedete mich, weil jemand einen Übersetzer benötigte. Er sah mir nach und in seinen Augen war immer noch der verbitterte diesmal jedoch auch enttäuschte Blick.

Situation 2

Als ich zur Essensausgabe komme, fällt mir ein arabischsprechender Helfer auf, der sich mit den anderen Helfern in einem ordentlichen Englisch unterhält. Irgendwann komme ich ins Gespräch mit ihm und erfahre dass er auch Flüchtling ist und erst seit ein paar Stunden in der Unterkunft ist. Er sagte: „Ich sah, dass hier viel zu tun ist, also bot ich meine Hilfe an. Jetzt trag ich auch so eine gelbe Weste“. Er spricht arabisch, englisch, französisch und türkisch, für Deutsch sei er noch nicht so lange in Deutschland gewesen, sagt er. Ich fragte ihn nach seiner Reise: „7 Tage habe ich aus Deir Ezzor hierher gebraucht“ ,sagte er und blickte mich stolz an.
– Nur 7 Tage? Du bist der erste mit dem ich rede, bei dem alles so schnell ging.
– Gepriesen sei Allah, ich wurde nirgends aufgehalten.
– Auch nicht in Ungarn?
– Nein, absolut nicht. An der Grenze hat man uns in einen Bus gesteckt und uns zur österreichischen Grenze gefahren.
– Andere haben in Ungarn schwer gelitten.
– Nein, ich hatte Glück.
Ich frage ihn, warum er sich jetzt zur Flucht entschieden hat. Er schaut mich an und lächelt verbittert. Dann sagt er.
– Es wurde unerträglich. Der Krieg, dann der IS. Es sind viele Tunesier beim IS.
– Es tut mir Leid. Ich empfinde sie als Schande.
– Weißt du, als die Revolution anfing, habe ich 4 Jahre lang versucht zu helfen. Schau her, ich bin keine 24 Stunden hier und schon bin ich als Helfer unterwegs. Ich versuche immer zu helfen, wo es geht. Aber es ging nicht mehr weiter. Mir blieb nur noch die Wahl entweder auf Kosten meines Vaters rumzusitzen oder zu den Waffen zu greifen. Aber ich will meine Brüder nicht töten. Also entschloss ich mich, mein Glück zu versuchen und mich auf den Weg nach Europa zu machen.
Als ich ihn fragte ob ich seine Geschichte erzählen darf, zögert er und schaut ins Leere. Dann sagt er: „Ich habe kein Problem damit, dass du meine Geschichte erzählst, aber sag ihnen, dass alles gelogen ist. Wenn der Westen sagt, dass er Stellungen des IS bombardiert und der IS sich zurückgezogen hat, dann ist das gelogen.“
Er hat ein abgeschlossenes Petrochemie Studium und träumt davon, an der TU München weiter studieren zu dürfen.

Situation 3

Es ist Essenszeit. Es gibt Toastbrot, Sardinendosen, Honig und Marmelade aber nichts Warmes. Ein Mann sagt „Meine Tochter hat seit 2 Tagen nichts mehr gegessen. Sie isst keine Sardinen. Habt ihr nichts Warmes? Einfach nur weißen Reis. Das würde schon ausreichen.“ Später finden wir eine Kiste mit ca. 20 Packungen chinesischer Instantnudeln. Zu meiner Überraschung sogar mit der Aufschrift Halal (ähnlich wie koscher). Wir verteilen die Nudeln an die Kinder. Ein älterer Mann kommt zu mir und sagt:
– Gibst du mir bitte auch Nudeln.
– Es tut mir leid, wir haben nur sehr wenig davon, also verteilen wir sie nur für die Kinder
– Ich will sie ja für meine Kinder, ich habe drei Kinder.
– Bring sie her, dann gebe ich dir die Nudeln. Versteh mich nicht falsch.
– Aber sie schlafen. Soll ich sie jetzt wecken? Gib mir zwei Packungen für drei Kinder. Dann können sie es morgen früh essen bevor wir gehen.
Ich bin hin und her gerissen. Ich glaube ihm. Er schien mir zu stolz zu sein als dass er mich für ein paar Nudeln anlügen würde. Ich sage ihm: „Hör zu, ich kann sie dir jetzt nicht geben, sonst würden alle kommen und das gleiche wollen und behaupten sie hätten schlafende Kinder. Warte ab und komm zu mir, wenn sich der Raum etwas leert.“ Er bedankt sich bei mir, kommt später aber nicht mehr wieder.

Situation 4

Ein Mann um die 45 aus Deiz Ezzor, Mathelehrer, möchte wissen, wie er zur Vertretung des französischen Konsulats kommt. Er war zuvor in Messestadt Riem und hatte dort bereits mit ihnen gesprochen. Er hatte zu lange gezögert und dann wurden sie nach Dornach gebracht. Er hat sich entschlossen, nach Frankreich zu gehen, weil man ihm eine Wohnung und eine schnelle Aufenthaltsgenehmigung versprach. Außerdem stellte man Ihm in Aussicht auf Kosten Frankreichs seine Frau und Kinder nachzuholen. Ich fragte:
– Bist du dir sicher, dass sie das machen werden?
– Das haben sie gesagt. Sie haben es versprochen.
– Ich habe gehört, dass manche Syrer ohne Diplom abgelehnt wurden. Musstest du deins zeigen?
– Ja, ich habe ihnen Unterlagen gezeigt, die beweisen, dass ich Mathelehrer bin.
– Weißt du ob andere abgelehnt wurden?
– Ja, einige wurden abgelehnt. Aber ich will ja auch nicht bis in alle Ewigkeiten bleiben. Sobald der Krieg zu Ende ist, kehre ich in mein Land zurück und um dessen Boden zu küssen.
Er wollte sich am nächsten Tag auf den Weg zum französischen Konsulat machen.

Situation 5

Eine Frau um die 35 fragt mich, ob es die Möglichkeit einer Familienzusammenführung in Deutschland gibt. Ich weiß es nicht
– Wen willst du denn nachholen?
– Meinen Mann und meine drei Kinder.
– Bist du alleine hier?
– Nein mit meinem 4 Jahre alten Kind. Mein Mann ist mit meinen drei älteren Kindern in der Türkei geblieben.
– Echt? Das ist ungewöhnlich.
Die Frau grinst und sagt: „Mein Mann hat sich nicht in das Boot getraut, er hatte Angst. Da bin ich einfach gegangen“.

Situation 6

Ein junger Mann in Shorts will zur Kleiderausgabe. Diese ist schon geschlossen. Er fragt:
– Sag, bekomme ich Probleme mit Deutschland wenn meine Familie mir Geld schickt?
– Wieso solltest du Probleme bekommen?
– Ich habe gehört dass sie einem als Asylant das Geld wegnehmen.
– Naja wenn deine Familie dir 100 Tausend Euro schickt, dann kann es schon sein, dass du keine Unterstützung vom Staat bekommst.
– 100 Tausend Euro? (Er lacht) Damit könnte ich ja ein Geschäft aufmachen. Sie wollen mir 500 Euro schicken.
– Naja ich glaube nicht, dass man dir eine solche Summe wegnehmen wird.
– Ich brauche das Geld, man hat mir unterwegs alles gestohlen. In Griechenland hat man mir 2500 Euro aus der Tasche gestohlen und in Ungarn meinen Rucksack mit allem was ich habe. Wo gibt es ein Western Union?
– In der Stadt am Hauptbahnhof findest du bestimmt einen.
– Ist das zu Fuß weit von hier?
– Zu Fuß? Fahr doch mit der S Bahn.
– Ich habe so gut wie kein Geld mehr.
– Es kostet nur 2,70 Euro
Er kramt in seiner Tasche und findet 2,96 Euro. Sichtlich erfreut nimmt er sich vor, am nächsten Morgen in die Stadt zu fahren.

Situation 7

3 Jugendliche kommen zu mir. Alle drei haben SIM Karten von verschiedenen Anbietern erworben. Sie beschweren sich, dass sie kein Internet haben. Ich bitte Sie, mir die Unterlagen zu bringen. Es stellt sich heraus, dass die Karten nur Telefonate und SMS ermöglichen jedoch keine Internetverbindung. Enttäuscht fragte einer:
– Kann ich das Guthaben auf eine andere Karte mit Internet verschicken?
– Hm, ich weiß was du meinst. In Tunesien geht so was auch. Aber in Deutschland geht das alles nicht. Die sind in der Hinsicht hier etwas rückständig.

Situation 8

Ein Pakistaner kommt in die Sanitätsstation. Er lebte ein Jahr lang in Libyen und sprach deshalb arabisch. Ich übersetzte. Er beschwerte sich über starken Juckreiz. Als er sein Oberteil anhebt, kommen handtellergroße Ekzeme zum Vorschein. Ein Helfer erschrickt und vermutet Leishmaniose, eine tropische Infektionserkrankung. Der Mann wird zunächst in den Quarantäneraum gebracht. Später untersucht ein Arzt ihn und es stellt sich heraus, dass es lediglich eine starke Schuppenflechte ist. Ein Sanitäter verspricht dem Mann, ihm die nötigen Medikamente am nächsten Tag zu besorgen und erklärt ihm, dass sich diese Krankheit in Deutschland gut therapieren lässt.

Situation 9

Es ist bereits halb eins. Ich sitze mit einem anderen Dolmetscher vor dem Sanitäter Bereich und wir unterhalten uns. Zwei Männer und eine Frau – alle drei Flüchtlinge – laufen durch die Gänge und sammeln den Müll auf und verstauen ihn in Müllsäcken. Der Dolmetscher neben mir, selbst Palästinenser, bedankt sich bei den Dreien. Einer von ihnen sagt mit einem irakischen Akzent:
– Das ist doch normal. Wir wurden hier aufgenommen, also müssen wir uns auch zivilisiert benehmen. Ihr seid doch alle freiwillige Helfer hier. Warum solltet ihr unseren Müll wegräumen?

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