Tag 11: Dornach

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Mittwoch, der 14.10.2015

Gestern kam die Information, dass ab 20 Uhr ca. 900 Flüchtlinge in Dornach ankommen. Daher machte ich mich mit einem befreundeten Tunesier auf den Weg, um vor Ort zu helfen. Ursprünglich wollte ich lediglich bis 23 Uhr bleiben. Nachdem jedoch die Busse erst sehr spät kamen, habe ich die letzte S-Bahn verpasst. Deshalb habe ich mit anderen Helfern ein paar Stunden in einem Raum auf Feldbetten geschlafen. Ab 10 Uhr in der Früh half ich dann nochmal bei der Essensausgabe. Danach machte ich mich auf den Weg nach Hause und begleitete sechs Syrer zum Hauptbahnhof. Ein Großteil der Ankommenden waren Afghanen. Es waren nur wenige Syrer. Sieben Afrikaner aus Mali und ein paar Iraner. Viele von ihnen waren erkältet oder hatten Durchfall. Außerdem kamen mehrere unbegleitete Minderjährige. Die Jugendlichen ohne Begleitung waren ein großes Problem, da die Stadt ihre Unterstützung durch das Jugendamt eingeschränkt hat. Helfer waren viele da und auch genug arabische Dolmetscher. Gefehlt hat es hauptsächlich an farsisprechenden Helfern. Zum Glück gab es jedoch unter den Securityangestellten einige Mitarbeiter, die Farsi beherrschten und aushelfen konnten. Dies führte jedoch auch dazu, dass ich nur wenige Gespräche führen konnte. Einerseits wegen der Sprache und andererseits, da wir hauptsächlich mit der Aufnahme der ankommenden Flüchtlingen beschäftigt waren.

Begegnung 1

Bei meiner Ankunft lerne ich einen libanesischen Helfer kennen. Wir unterhalten uns ein bisschen. Mit einem breiten Grinsen zeigt er mir ein Bild von einem Schild in der Unterkunft.ClearTablePlease

Auf dem Bild war ein Piktogramm und darunter stand auf Englisch „Clear Table“. Darunter sah man die arabische Übersetzung bzw. das, was jemand für die Übersetzung hielt: „Deutliche Tabelle“. Das ergab natürlich überhaupt keinen Sinn. Ich amüsierte mich köstlich.

Ich entfernte die Blätter und erstellte neue. Diesmal mit einer besseren Übersetzung und einem etwas weniger autoritären Ton.

Begegnung 2

In der Einfahrt steht ein Bus. Nachdem ich die Ansage im Bus gemacht habe, warten wir noch kurz, bis die ankommenden Flüchtlinge aus dem vorherigen Bus die Gesundheitskontrolle passiert haben. Ich unterhielt mich mit einer kleinen Gruppe Syrer, die in der Nähe des Fahrers saßen.

  • „Von wo bringt euch dieser Bus?“
  • „Aus einem Camp, aber ich weiß nicht wie es heißt.“
  • „Weißt du, wo es lag?“
  • „An der Grenze zu Österreich.“
  • „War es in Freilassing?“

Sie schauten sich an und überlegten. Einer schüttelte den Kopf und sagte: „Ich weiß es nicht.“

  • „Waren dort viele Syrer?“, fragte ich.
  • „Nein, fast nur Afghanen. Vielleicht sogar 90 %.“
  • „Was erzählst du, Mann?“, ruft einer der Männer dazwischen. „Das waren mindestens 99% Afghanen!“
  • „Wie viele waren in diesem Camp?“
  • „Ich denke ca. 2000 Menschen.“

Begegnung 3

Bei der Verteilung der ankommenden Flüchtlinge auf die verschiedenen Zimmer, werde ich von Helfern gefragt, ob Syrer und Kurden sich verstehen. Es geht um die Frage, ob es möglich ist, eine Gruppe mit fünf Syrern mit einer Gruppe von fünf Kurden in einen Raum unterbringen zu können, ohne, dass es Streitigkeiten geben könnte. Vorsichtshalber gehe ich zu den Syrern und frage einen unter ihnen:

„Können wir euch mit den kurdischen Brüdern in einem Raum unterbringen?“

„Ja klar, die können auch alle Arabisch. Wir verstehen uns gut. Das sind syrische Kurden. Die Kerle sind in Ordnung.“ Er schaut zu der Gruppe der Kurden und ruft ihnen zu: „Er fragt, ob wir Probleme miteinander haben. Ich sagte ihm, dass wir uns gut verstehen. Das stimmt doch, oder?“

Einer der Kurden nickte zustimmend und sagte: „Ja klar, alles in Ordnung.“

Der arabische Syrer sagte schließlich noch: „Bitte nur nicht mit den Afganen in einen Raum.“

Begegnung 4

Am Morgen, nach ein paar Stunden Schlaf auf einem Feldbett der Bundeswehr, half ich ein bisschen bei der Essensausgabe und machte mich schließlich auf den Weg nach Hause. Eine Gruppe von fünf syrischen Kurden schloss sich mir an. Sie wollten zum Hauptbahnhof. Dort half ich ihnen mit dem Ticketkauf für eine Weiterfahrt. Anfangs wollten sie noch zu einem Bekannten nach Düsseldorf fahren, entschieden sich dann aber später, nur bis Augsburg zu fahren, da sie dort auch jemanden kannten. Unterwegs kamen wir ins Gespräch:

  • „Wo kommt ihr her?“
  • „Aus Qamischli.“
  • „Wie lange wart ihr unterwegs?“
  • „12 Tage.“
  • „Oh, das ist schnell.“
  • „Schnell sagst du? Wir haben in Bulgarien viel Zeit verloren.“
  • „Viele haben 30 Tage gebraucht. Was war in Bulgarien?“
  • „Wir haben es zweimal über Bulgarien versucht. Jedoch mussten wir schließlich zurück in die Türkei und mit dem Schlauchboot nach Griechenland.“
  • „Was ist in Bulgarien passiert?“
  • „Wir wurden von der Polizei festgenommen und wieder zurück an die türkische Grenze gebracht. Sie haben mir mein Handy gestohlen.“
  • „Wer hat dein Handy gestohlen?“
  • „Die bulgarische Polizei. Sie schauten sich alle Handys an und warfen sie zur Seite. Ich hatte ein iPhone 5. Als er es sah, steckte er es ein.“
  • „Einfach so?“
  • „Ja, aber er wird nicht viel Freude damit haben.“, sagte er mit Genugtuung. „Ich habe das iPhone mit meinen Fingerabdruck gesichert. Er kann es eigentlich gleich wegschmeißen.“

Bevor wir uns am Hauptbahnhof verabschiedeten, kam einer der jungen Männer zu mir und fragte mich: „Wie sagt man Schwein auf Deutsch?“

„Schwein? Warum willst du ausgerechnet dieses Wort wissen?“, fragte ich ihn verwundert.

„Damit wir beim Essen kaufen sagen können, dass wir kein Schwein essen.“

„Ah, jetzt verstehe ich. Es heißt ‚Schwein‘.“

Er schaut mich mit ungläubigen Augen an und sagte: „Schwein wie ‚Schweinsteiger‘?“

Am Anfang verstand ich nicht, was er meinte. Dann musste ich jedoch lachen und sagte: „Ja, Schwein wie Schweinsteiger.“

Begegnung 5

Auf dem Weg zum Hauptbahnhof begleitete mich, neben den syrischen Kurden, auch ein arabischer Syrer, der nach Regensburg zu seinem Bruder wollte. Unterwegs fragte ich ihn:

  • „Woher kommst du?“
  • „Aus Deir-Ezzor.“
  • Da mir bekannt war, dass der IS Deir-Ezzor im Griff hatte, fragte ich ihn: „Bist du vor Daech (IS) geflohen?“
  • „Ja.“
  • „War es schwierig, aus Syrien zu fliehen?“
  • „Oh ja, sehr schwierig! Daech verbietet es, seine Gebiete zu verlassen. Also habe ich immer angegeben, nur in die nächste Stadt gehen zu wollen: Von Deir-Ezzor nach Er-Raqqa. Von Er-Raqqa nach Halab und von Halab in die Türkei.“
  • „War der ganze Weg unter der Kontrolle von Daech?“
  • „Nein, ein Teil wurde auch durch die ‚Freie Syrische Armee‘ kontrolliert.“
  • „Und was habt ihr zu denen gesagt?“
  • „Denen haben wir schon gesagt, dass wir in die Türkei wollen.“
  • „Und da gab es keine Probleme?“
  • „Nein, die haben uns nicht bedrängt.“
  • „Haben sie dir an den Straßensperren des IS oder der FSA auch Geld abgenommen?“
  • „Nein, haben sie nicht. Nur an der Grenze zur Türkei mussten wir umgerechnet 50 € an den Schlepper zahlen.“
  • „Was hat dich eigentlich zur Flucht getrieben?“
  • „Es gibt keine Zukunft unter Daech. Ich war Student an der Universität in Damaskus. Jedoch durfte nicht mehr nach Damaskus reisen.“
  • „Was hast du studiert?“
  • „Geschichte.“
  • „Es ist eine Zeit, in der Geschichte geschrieben wird.“, sagte ich und dachte dabei an die sich ändernden Verhältnisse in der arabischen Welt.
  • „Es gibt keine Geschichte mehr. Die Geschichte wird zerstört.“, erwiderte er. Ich musste an die Zerstörung des historischen Basars von Haleb denken; an die zerstörte Umayyaden-Moschee in Damaskus und die verwüsteten Ruinen von Tadmur (Palmyra).
  • „Daech schult Lehrer.“, fuhr er fort. „Dann lässt er sie die Kinder unterrichten.“
  • „In welchen Fächern?“
  • „Ich weiß es nicht genau. Ich habe das Programm nicht gesehen aber ich weiß von Religion, Arabisch und Mathematik.“
  • „Ich habe gehört, dass sie auch ein Medizinstudium anbieten. Stimmt das?“
  • „Ja. Mediziner und Krankenpfleger werden ausgebildet. Frauen und Männer werden dabei getrennt unterrichtet.“
  • „Habe sie ihre Hochschule in Deir-Ezzor?“
  • „Nein in Er-Riqqa.“
  • „Warum dort?“
  • „Weil sie es schon länger unter ihrer Kontrolle haben und es in Deir-Ezzor viel Erdöl gibt.“
  • „Achso und wegen dem Öl ist die Stadt umkämpfter?“, frage ich.
  • „Genau!“, sagt er.
  • Nach einer Weile frage ich ihn: „Gibt es viele Tunesier beim IS?“.
  • „Ja, sehr viele. Aber es gibt auch viele aus den Golfstaaten: Kuweit und Saudi-Arabien zum Beispiel.“
  • Ich frage weiter: „Gibt es Unterschiede in den Verhaltensweisen der verschiedenen Nationalitäten?“

Er schaut mich an und sagte fast schon entschuldigend: „Glaub mir… ich würde nie ein Volk über einen Kamm scheren und ich weiß, dass es viele gute Tunesier gibt. Jedoch sind die Tunesier bei Daech sehr schlecht. Mit den Menschen aus den Golfstaaten kann man wenigstens noch reden und sie haben Verständnis für deine Situation. Aber die Tunesier töten oft sehr schnell.“

„Es tut mir schrecklich Leid. Alle Tunesier, die ich kenne, halten nichts vom IS, deren Ideen und Taten. Ich habe Videos gesehen, in denen Tunesier vom IS zu sehen waren. Sie verhalten sich und sprechen dort meistens eher wie Ganoven und nicht wie extrem gläubige Menschen.“

„Sie sind auch keine religiösen Menschen. Sie kommen doch nur wegen dem Geld. Die Muhajirin bekommen sehr viel Geld.“ (Muhajirin werden eigentlich die Muslime genannt, die zur Zeit des Propheten von Mekka nach Medine migriert sind, um der Unterdrückung der Herrscher Mekkas zu entkommen. Es bedeutet so viel wie Migranten)

  • „Nennt der IS die ausländischen Kämpfer Muhajirin?“
  • „Ja.“
  • „Weißt du, wieviel sie bekommen?“
  • „Zwischen fünf- und sechstausend Dollar.“
  • „Was bekommt ein Syrer von Daech?“
  • „150 Dollar.“
  • „So ein großer Unterschied?!“, fragte ich erstaunt.
  • „Ja. Sie zahlen nur in Dollar. Die syrische Lira wird nicht akzeptiert.“
  • „Hat Daech nicht auch seine eigene Währung eingeführt?“, fragte ich.
  • „Sie haben sie zwar vorbereitet, aber nicht verteilt.“

Er fuhr mit dem Zug nach Regensburg zu seinem Bruder, der seit 25 Jahren in Deutschland lebte.

5 Gedanken zu „Tag 11: Dornach“

  1. Hey… das sind ganz schöne Innensichten mit Geheimdienstwert…oder?
    Wir haben das gerade durchgelesen… mein türkischer Kollege und ich…
    und wussten das alles nicht…
    Und sind schockiert… aber klar, das hat alles Ausmasse, die wir uns nicht vorstellen können…
    Ich denke, dabeisein ist für Dich gerade sooooooooo wertvoll… ich könnte das nicht aushalten (an Deiner Stelle) – ohne das alles zu erfahren. Das gibt ein Bild für Dich – und das schreit doch nach Krieg in der Gegend um Syrien – oder was ist Dein Eindruck.. ????

    Du musst meine Mail nicht öffentlich anhängen…
    Sei lieb gegrüsst… und bleib dran.. dass Dich der Geheimdienst noch nicht angesprochen hat….??? 🙂

    Heidi

    Antworten
    • Hallo Heidi, ich denke die Geheimdienste haben da viel tiefere Einblicke. Vieles von dem was mir erzählt wird ist sogar schon in der normalen Presse angelangt. Ich versuche hier keinen Enthüllungsjournalismus zu betreiben, sondern von Einzelschicksalen zu erzählen.

      Antworten
  2. Findest du ‚Please clear the table‘ wirklich ‚diktatorisch‘?
    Das ist doch erstens ganz normal und zweitens ein völlig neutraler Tonfall. Es steht auch ‚please‘ davor, es hätte auch ohne diesen Zusatz dastehen können. Was hast du denn geschrieben? ‚Eventuell, falls ihr es selbst möchtet, aber nur dann…! Sonst wird euch selbstverständlich hinterhergeräumt!‘ oder was?

    Schilder sind allgemein mit kurzer Botschaft ausgestattet. Werden Gefühle verletzt, wenn die Flüchtlinge künftig ‚Bahnübergang ———-> ‚ sehen, ohne dass entschuldigende ‚Beigaben‘ dabeistehen?

    Antworten
    • Hallo Grete,
      „Please clear the Table“ war das was ich geschrieben habe. Vorher stand da „Clear Table“ was erstens falsch ist und zweitens etwas autoritär. Von diktatorisch war nie die Rede. Aber vielleicht liest du den Text noch mal richtig, das steht nämlich alles schon drin.
      Grüße
      Karim

      Antworten

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