Tag 25: München

en

Teil 1: Dornach

Am 22.12. kamen 101 Mann nach Dornach. Neben 13 Syrern waren sehr viele Schwarzafrikaner unter ihnen. Wir konnten uns zum Teil auf Englisch oder Französisch unterhalten. Ich war von 8 Uhr bis 11 Uhr vormittags in der Unterkunft, um bei der Ankunft der neuen Gäste zu unterstützen. Ich musste danach wieder gehen, weil ich ein paar Tage weg fuhr.

Am Sonntag, dem 27.12.2015, war ich erneut für ein paar Stunden in Dornach. Diesmal habe ich meine zwei Kinder mitgenommen.

Begegnung 1

„Friede mit dir, Bruder. Wie geht es dir?“, sagt ein Syrer mit einem aufgesetzten, tunesischen Akzent. „Wo warst du? Seit dem letzten Mal haben wir dich hier nicht mehr gesehen.“

„Ich war für ein paar Tage verreist. Ich bin an dem Tag nur gekommen, um euch zu empfangen. Danach musste ich aber gleich los. Ich hoffe, ihr fühlt euch wohl.“

„Ja, es ist alles in Ordnung. Bis auf eine Kleinigkeit, über die ich gerne mit dir reden möchte.“

„Ich bitte dich. Ich hoffe, ich kann helfen.“

„Weißt du Bruder, wir müssen unsere Klamotten waschen. Wir waschen sie in einem Waschbecken, da es keine andere Möglichkeit gibt. Um sie zu trocknen, hängen wir sie in einem leeren Zimmer über die Heizung. Doch einer der Security-Mitarbeiter ermahnt uns immer wieder und verbietet es uns. Er ist generell sehr schroff zu uns. Einige vermuten, dass er eventuell Rassist ist, weil er nie freundlich ist. Aber ehrlich gesagt habe ich nichts rassistisches von ihm gehört. Ein anderer Security-Mitarbeiter hat mir gesagt, dass er zu allen so schroff ist. Wir ertragen es, aber es vermiest eindeutig die Stimmung.“

„Hm, ich weiß zwar nicht, von wem du redest, aber ich denke auch nicht, dass hier Rassismus im Spiel ist. Einigen fehlt es eventuell auch nur an etwas Feingefühl. Ich bitte dich, Problemen aus dem Weg zu gehen und vielleicht auch deeskalierend einzugreifen, falls sich andere aufregen. Wir werden versuchen, das Problem irgendwie zu lösen.“

„Ja natürlich. Ich versuche sowieso, ihm aus dem Weg zu gehen.“

Begegnung 2

Ich laufe mit meinen beiden Kindern durch die verwinkelten Gänge der Dornacher Unterkunft. Ein junger Syrer sieht mir zu und fragt mich nach dem Alter meiner Kinder. Wir unterhalten uns. Er zeigt mir stolz seine Kinder auf dem Handy. Sie sind im gleichen Alter wie meine. Ich frage nach deren Verbleib:

„In Damaskus.“, sagt er und sieht dabei weiterhin auf das Bild von seinen beiden Jungs.

„Willst du sie nachholen?“

„Ja.“

„Hoffst du auf Familienzusammenführung?“

„Ja, ich könnte sie nicht in ein Boot setzen. Das wäre zu gefährlich.“

„Über welchen Weg bist du hergekommen?“

„Ich bin über Libyen gekommen. Zuerst war ich in Ägypten. Ich bin geflohen, weil ich zum Militär eingezogen werden sollte. Ich möchte in diesem Krieg nicht kämpfen.“

Als ich mich verabschieden möchte, sagt er: „Ich habe noch eine Bitte, wenn du mir erlaubst: Wir sind es nicht gewohnt, rumzusitzen und nichts zu tun. Ich habe immer gearbeitet und ich ertrage das Nichtstun nicht…“

„Ich verstehe dich, aber es wird dir nichts anderes übrig bleiben. Es wird nicht einfach werden. Ihr werdet euch langweilen. Ihr werdet nichts zu tun haben und es wird wahrscheinlich mehrere Monate dauern. Das Einzige, was ich euch ans Herz legen kann: Nutzt die Zeit so gut wie möglich, um Deutsch zu lernen.“

Als hätte er gewusst, dass ich ihm nicht mehr bieten kann, nicke er und sagt: „Ja, Sprache ist das Wichtigste. Wir wären glücklich, wenn es Deutsch-Unterricht geben würde.“

Teil 2: ZOB

Gegen halb 7 Uhr mache ich mich auf den Weg nach Hause. Da ich am Abend um kurz vor Mitternacht jemanden am ZOB erwarte, habe ich mich für die letzte Schicht von 22 bis 0 Uhr bei den ZOB-Angels eingetragen. Bei meiner Ankunft bewundere ich zuerst den neuen Warteraum. Neben den mir bereits bekannten Containern für die Kleiderausgabe, die Essensausgabe und für die Ärzte der Welt, steht diesmal ein großer Doppelcontainer als Warteraum für die Flüchtlinge bereit. Anwesend waren hauptsächlich syrische Familien. Es kommt zu einigen Begegnungen.

Begegnung 3

Kurz nach meiner Ankunft gehe ich in den Warteraum und schaue nach den Anwesenden. In dem Container sitzen ca. 29 Personen, unter ihnen auch Frauen und Kinder. Das jüngste Kind ist gerade mal einen Monat alt. Als ich eintrete, werfe ich einen Gruß in die Runde. Während die meisten Anwesenden meinen Gruß ohne großes Interesse erwidern, grüßt mich ein älterer Mann mit einem besonders freundlichen Lächeln und hebt dabei den rechten Arm grüßend. Ich gehe zu ihm. Wir kommen schnell ins Gespräch. Ich frage ihn, ob er alleine reist.

„Nein.“, sagt er: „Das ist meine Frau und unser Sohn ist draußen.“ Ich knie mich zu der älteren Dame, die am Boden sitzt und frage sie, wie es ihr geht und woher sie kommen.

„Gott sei Dank, uns geht es gut. Wir sind aus Halab.“

„Wann seid ihr in Deutschland angekommen?“

„Gestern Abend. Sie haben uns in ein Camp gebracht. Wir haben Fingerabdrücke abgegeben und dann sind wir gegangen.“

„Wir hieß das Camp?“

„Er, Erang, Ering…“, versucht sie, sich an den Namen zu erinnern.

„Erding? Meinst du Erding?“, vermute ich.

„Ja genau! Das war der Name des Camps.“, stimmt der alte Mann zu.

„Und ihr konntet einfach so gehen?“, frage ich.

„Ja, die meisten, die mit uns im Bus saßen, sind einfach wieder gegangen. Das kümmert dort niemanden.“

„Wie lange wart ihr unterwegs?“.

Das alte Paar überlegt, diskutiert und einigt sich schließlich, dass vor zwei Wochen gewesen sein muss, als sie losgegangen sind.

„Seid ihr über das Meer in einem Schlauchboot gekommen?“, frage ich weiter.

„Nein, wir sind nur über Land nach Europa gekommen.“

„Wie das denn?“

„Über Bulgarien.“

„Ist die Grenze dort nicht schon lange geschlossen?“ Ich wundere mich, denn vor mehreren Wochen habe ich gehört, dass die Grenze dort dicht gemacht wurde und der Bulgarische Grenzschutz wenig zimperlich sei.

„Nein, die Grenze war offen, aber zwei Tage nach uns wurde sie wieder geschlossen.“

„Wie ist der Weg aus Syrien raus? Ich meine, von Halab bis zur türkischen Grenze.“ Ich interessiere mich dafür, weil ich einige Syrer kenne, die ihre Familien über Fluchtwege nachholen wollen. Immer wenigere von ihnen wollen auf den Familiennachzug warten.

Der alte Mann hebt die Augenbrauen und sagt beklommen: „Oh, der Weg aus Syrien raus, der ist schrecklich. Es passieren dort schlimme Sachen. Sachen, über die man nicht mal wagt zu reden.“

Er schien nicht weiter über Details reden zu wollen, dennoch stelle ich ihm eine vorsichtige Frage: „Wird der Weg unterwegs neuerdings von den Russen bombardiert?“

„Oh ja und nicht nur von denen. Auch von den Iranern und anderen.“

Während wir reden, kommt sein Sohn in den Container. Er machte einen verwirrten Eindruck und verhält sich seltsam. Der alte Mann bemerkt meine Blicke und sagt zu mir:

„Mein Sohn ist geistig verwirrt…“

„Unser Sohn ist nicht verrückt.“, unterbricht ihn die alte Frau.

„Na ja, sagen wir, er hat eine geistige Krankheit.“, korrigiert sich der alte Mann.

„Ah ich verstehe.“

„Er wurde gefoltert.“, fügte der alte Mann hinzu.

„Von wem?“

„Das Regime nahm ihn fest. Damals vor drei Jahren als die Demos losgingen.“

„Hat er gegen das Regime demonstriert?“

„Nein, nicht mal das. Er ist eigentlich nur Brot holen gegangen. Aber dann ist er in eine Kontrolle geraten und sie haben ihn beschuldigt, gegen das Regime demonstriert zu haben. Einen Monat lang haben sie ihn eingesperrt und mit Strom gefoltert. Seitdem ist er nicht mehr der alte. Seitdem ist er…“ Er zögert und sagt dann schließlich: „verwirrt.“

In den Augen des alten Mannes sehe ich tiefste Verbitterung. Der Blick hinter den dicken Brillengläsern scheint feucht zu sein. Ich denke an meinen Sohn und ertrage die Vorstellung nicht. Gleichzeitig bewundere ich die Kraft des alten Mannes.

Dann sagt er: „Aber er hat es überlebt.“

Begegnung 4

Während ich mit dem alten Paar rede, gesellt sich ein junger Mann zu uns. Er ist auch aus Halab. Er fragt mich, ob ich ihm den Bahnsteig zu seinem Bus zeigen kann.

„Wann kommt dein Bus?“, frage ich.

„Um 22:30.“

Ich sehe auf die Uhr und stelle fest, dass es 22:25 Uhr ist. Erschrocken springe ich auf und sage: „Los schnell, sonst wirst du deinen Bus verpassen. Du musst dich beeilen.“

Wir hetzen vom Warteraum Richtung Busse. Unterwegs bitte ich ihn, mir sein Ticket zu zeigen. Als er es mir reicht, sehe ich, dass der Bus schon um 22:15 abgefahren ist.

„Dein Bus ist schon abgefahren. Warum hast du nicht auf das Ticket geschaut?“ Wir rennen dennoch weiter, in der Hoffnung, dass der Bus Verspätung hat. Jedoch ist er bereits abgefahren und der Bussteig ist leer.

Ich erkläre dem jungen Mann, dass sein Ticket verfallen ist und er sich ein neues Ticket kaufen muss. Verärgert über sein Missgeschick, jedoch relativ gefasst, geht er zum Flixbusbüro, um ein neues Ticket zu kaufen. Sein Ziel war Eisenhüttenstadt, südlich von Frankfurt an der Oder, weil dort angeblich Asylanträge schneller bearbeitet werden. Der Ticketpreis lag bei 48 Euro.

„Dann fahre ich nach Saarbrücken.“, sagt er plötzlich.

„Dir ist schon klar, dass Saarbrücken in entgegengesetzter Richtung liegt oder?“, frage ich ihn stutzig.

„Ja, aber mir wurden von verschiedenen Leuten beide Städte nahegelegt. Ich habe es mit dem ersten Ziel versucht und es sollte nicht sein. Also gehe ich in die andere Stadt. Ich war sowieso nicht richtig überzeugt.“

„Warum nicht?“

„Du weißt schon, wegen den Rechten und so.“

Er kauft das Ticket nach Saarbrücken und erzählt mir von seiner Überfahrt nach Griechenland.

„Die Schlepper haben uns in ein Schlauchboot geladen und uns in Farmakonisi rausgelassen. Wir wussten zwar, dass Farmakonisi ein Militärgebiet ist, jedoch hieß es, dass sie uns von dort weiter bringen werden.“

„Ist das eine griechische Insel?“

„Ja, eine griechische Insel gegenüber vom türkischen Didim. Dort waren wir fünf Tage in der Kälte. In Containern. Ohne Essen. Nur alte abgelaufene Kekse gaben sie uns. 450 Personen. Das Militär sagte uns, dass wir hier nicht bleiben dürfen. Sie haben aber nichts unternommen, um uns zu helfen. Es waren Kinder und Frauen in der Kälte in den Containern.“ Als er redet, schien er noch immer sehr mitgenommen von dem Erlebten zu sein.

„Meinst du Container wie diese hier?“, frage ich ihn und deute auf den Aufenthaltscontainer der ZOB-Angels.

„Nein, das hier ist Luxus im Vergleich. Wir waren dort wie Tiere. Es war kalt, feucht und alles war undicht. Die Leute schliefen auf den Boden. Es gab kaum Decken. Und niemanden hat es gekümmert. Wir haben das Rote Kreuz und andere Hilfsorganisationen angerufen, doch es passierte erst etwas, als wir Videos von der Situation auf Youtube geladen haben.“

„Was war dann?“, frage ich.

„Dann kam die britische Marine und hat uns abgeholt. Sie haben uns ans griechische Festland gebracht.“

Begegnung 5

Ich gehe zurück in den Aufenthaltscontainer und überprüfe die Abfahrtzeiten der restlichen Flüchtlinge, um zu verhindern, dass weitere ihren Bus verpassen. Später begleite ich eine Großfamilie, bestehend aus fünf Erwachsenen und vier Kindern. Der einzige Mann ist ca. 35 Jahre alt und sitzt in einem Rollstuhl. Am Bus angelangt biete ich an, ihn reinzutragen. Zwei der begleitenden Frauen lehnen freundlich ab und tragen ihn zu seinem Sitzplatz.

Als alle im Bus sitzen, fragt der Busfahrer:

„Sind das Flüchtlinge? Dürfen die reisen?“.

Mir sagten sie, dass sie pässe haben, genaueres wusste ich nicht und wollte ich auch garnicht wissen, da ich auch lange Diskussionen vermeiden wollte.

„Ich frage nur, weil es unterwegs Kontrollen gibt. Münchberg fahren wir gar nicht mehr an.“

„Macht ihr dort sonst Rast?“, frage ich den Fahrer.

„Ja. Und da steht immer die Polizei. Neulich haben sie uns 15 Fahrgäste abgenommen. Daher machen wir jetzt woanders Rast.“

Verlängerung

Als der letzte Flüchtling im Bus sitzt und wir uns langsam auf dem Weg nach Hause machen wollen, kommt ein Helfer und sagt: „Da ist gerade eine Familie angekommen, die wollen auch heute noch weiter.“

Die Familie will nach Bergisch Gladbach (bin mir nicht mehr ganz sicher, was die Stadt betrifft), jedoch gibt es um diese Uhrzeit kaum noch Busse. Ein Helfer schaut auf seinem Handy nach und sagt: „Der letzte Bus in die Richtung ist gerade eben – vor fünf Minuten – abgefahren.“

„Bist du dir sicher? Lass uns nachschauen. Vielleicht hat der Bus ja Verspätung und sie haben Glück.“, schlage ich vor.

Wie etliche Male zuvor an diesem Abend, hetze ich über den ZOB. Zu meiner Überraschung hat der Bus tatsächlich Verspätung. Der Fahrer bestätigt, dass noch Platz für ein Paar mit vier Kindern ist und fügt hinzu: „Sie müssen aber sofort kommen, wir müssten eigentlich schon längst unterwegs sein. Ein zweiter Helfer rennt los und holt ein paar Kekse, Obst und Wasser für die Kinder.

Als der grüne Bus wegfährt, ist es kurz nach ein Uhr. Wir stehen noch eine Weile im Kreis und freuen uns, dass an diesem Abend kein Flüchtling am ZOB übernachten muss.

2 Gedanken zu „Tag 25: München“

  1. Ich hoffe Ihr wißt wie wichtig Ihr seid!
    Ich möchte mich bei Dir für Deinen Blog bedanken, mit dem Du – neben Deiner unmittelbaren Hilfe – uns die Welt der Gedanken und Empfindungen der Flüchtlinge öffnest und allen, die den Flüchtlingen zur Seite stehen, möchte ich sagen, laßt bitte nicht nach in Eurem Bemühen!

    Antworten

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.