OEZ Prozess – Chatprotokolle

Nachdem die Anzahl der Nebenkläger und die der Zuschauer in den letzten beiden öffentlichen Anhörungen im OEZ Prozess rund um den Waffenhändler zugenommen haben, wurde die heutige Sitzung in die JVA in der Stettnerstraße verlegt. Um dorthin zu gelangen, fuhr ich von der U-Bahn-Station am St.-Quirin-Platz mit dem Bus bis zur Station Stettnerstraße. Der Himmel war blau und die Sonne spendete etwas Wärme an dem sonst recht kühlen Tag. Der Weg führt über einen Straßenübergang und dann quer durch ein Wohngebiet. Erst auf den letzten Metern erblickt man den Wachturm der JVA. Ich näherte mich einem Eingang und erkannte einige Zuschauer und auch Nebenkläger, die neben dem Eingang warteten.

(Tag 1 meiner Teilnahme als Beobachter am OEZ Prozess)

Vor der JVA

Eine Dame mittleren Alters, die auch auf Einlass wartete, grüßte mich freundlich auf Arabisch und sagte:
„Du bist derjenige, der nach der letzten Sitzung einen Artikel geschrieben hat. Richtig?“
„Ja das stimmt.“
„Ich bin die Tante eines der Kinder.“
„Möge Allah barmherzig mit ihm sein.“, sage ich die arabische Beileidsbekundung und füge dann hinzu: „Es ist schrecklich, was passiert ist.“
Sie zeigt auf eine Familie, die ebenso vor der JVA wartet. „Dort sind die Eltern. Sie machen sehr schwere Zeiten durch.“ Ich erkenne die Mutter, die in der letzten Sitzung eine emotionale Erklärung abgab und den Angeklagten hart anging, bevor sie einen Nervenzusammenbruch erlitt. Neben ihr stand ihr Mann und weitere Verwandte.
„In unserer Familie sprechen alle Arabisch. Wir kommen zwar aus der Türkei, unsere Vorfahren sind jedoch arabischen Ursprungs, deshalb sprechen wir sowohl Arabisch als auch Türkisch.“, sagte die Tante zu mir, als hätte sie meine Frage erraten.

Wir unterhielten uns ein wenig über den Tag, an dem 9, meist sehr junge Menschen, mitten in München ihr Leben verloren.
„Wie alt war der Junge?“, frage ich sie.
„14 Jahre.“
„Wurde er auch im McDonald’s ermordet?“, frage ich vorsichtig.
„Ja er war mit Freunden unterwegs, als diese vorschlugen dort vorbeizugehen.“
„Kannte er den Täter?“
„Nein, sie gingen nicht mal auf die gleiche Schule.“

Neue Saal

Kurz darauf werden wir von den JVA-Beamten hereingelassen. Wie am Flughafen durchlaufen wir eine Sicherheitskontrolle. Meinen Laptop muss ich am Empfang abgeben.

Die Sitzung findet diesmal in einem großen modernen und hellen Saal statt. Der Eingang liegt im Untergeschoss. Die Wände sind mit hellem Holz verkleidet. Über der Tür hängt ein schlichtes Holzkreuz. Der Raum bietet genug Platz für alle Nebenkläger und deren Anwälte. Die Tische verfügen allesamt über Mikrofone. Im hinteren Teil des Saals zähle ich 52 Plätze für Besucher und 48 für Pressevertreter.

Langsam füllt sich der Saal. Ein paar Stühle neben mir nimmt die Großmutter eines Opfers Platz. Diese ist in der vorangegangenen Sitzung durch einen wütenden Zwischenruf aufgefallen. Auch andere der Besucher, erkenne ich als Angehörige der Opfer.

Als die Richter schließlich mit 20 Minuten Verspätung den Saal betreten, sind alle Besucherplätze belegt. Und da nur 10 Pressevertreter anwesend sind, werden auch deren restlichen Plätze für Besucher freigegeben. Auch der Angeklagte hatte bereits Platz genommen. Die Handschellen wurden ihm zuvor von Beamten abgenommen.

Beginn der Verhandlung

Nachdem die Anwesenheitsliste geprüft wurde, verkündete der Richter, dass die Befangenheitsanträge der Anklage abgewiesen wurden und dass sich die zuletzt neu angekündigten Nebenkläger dem Verfahren anschließen dürfen. 

Dann informierte die Staatsanwaltschaft Richter und Anklage, dass er eine CD mit Chatprotokollen und Nachrichten aus einem Forum, in dem sowohl der angeklagte Waffenhändler als auch der Mörder David Sonboly verkehrten, verteilen wird.

Als der Anwalt der Anklage nach dem Umfang der Dokumente fragt, sagt der Staatsanwalt, es wären fünf gefüllte Leitzordner oder geschätzt zwei bis drei Tausend Seiten. Zusätzlich verteilt die Staatsanwaltschaft eine zweiunddreißigseitige Erklärung des Zollfahndungsamtes.

Der Anwalt der Anklage beantragt eine Unterbrechung, um die Daten prüfen zu können und merkt an, dass es unmöglich sein wird, die Daten an diesem Tag in Gänze zur Kenntnis zu nehmen. Der Richter pflichtet dem bei. Während der Staatsanwalt die CDs an die Anwälte verteilt, steht plötzlich ein Nebenkläger auf. Er zerknüllt demonstrativ ein Papier, schmeißt es auf den Tisch. Dann geht er wutentbrannt Richtung Tür und schlägt einmal gegen die Wand. Bevor er schließlich die Tür öffnet, um den Saal zu verlassen, bleibt er stehen, dreht sich zu dem Angeklagten und sagt: „Du sollst niemals rauskommen! Du sollst niemals rauskommen!“ Dann verlässt er den Saal.

Am 22. Juli 2016 hatte der Mann einen Sohn verloren. Ermordet mit der Glock 17, die der Angeklagte dem Attentäter vom OEZ über das Darknet verkauft hat. Auch wenn der Angeklagte versichert, von den Absichten des Attentäters nichts gewusst zu haben, so sind die Familien vom Gegenteil überzeugt. Einiges deutet darauf hin, dass der Angeklagte dem Attentäter sogar Tipps für die Tat gegeben hat.

Der Vater verlässt den Raum, seine Frau bleibt regungslos im Saal sitzen. Ein Zuschauer, erhebt sich aus den hinteren Reihen und eilt nach draußen. Ich vermute, dass er den Vater kennt und versuchen wird ihn zu beruhigen.

Der Richter diktiert die Situation für das Hauptverhandlungsprotokoll. Die Großmutter neben mir ruft: „Er hat ja recht.“ Wie bei der letzten Verhandlung, weist der Richter darauf hin, dass von Zwischenrufen aus dem Publikum abzusehen ist und droht mit einem Ordnungsgeld.

Es folgt eine Diskussion zwischen Richter und Anwälten, ob ein Zeuge vorgeladen oder ob er von der Polizei verhört werden soll. Die Anklage befürchtet eine Fluchtgefahr, nachdem ein zuvor ausgestellter Haftbefehl wieder gelöscht wurde. Die Anwälte stimmen einstimmig dafür, den Zeugen vorladen zu lassen. Dann geht es für eine halbe Stunde in die Pause.

Eigenes Süppchen

Vor dem Sitzungssaal komme ich ins Gespräch mit einer Journalistin. Sie sagt, es ist auch für Journalisten manchmal schwierig dem Verfahren zu folgen. Die Zusammenhänge und die Beziehungen der Zeugen sind nicht immer sofort erkennbar. Denn der Richter ist ja auch nicht da, um den Anwesenden alles zu erklären. Sie sagt auch, dass es ein wichtiger Prozess ist und dass es gut ist, dass sich mittlerweile mehr Menschen dafür interessieren. Dann fügt sie hinzu: „Wir wollen ja nicht, dass die da ihr eigenes Süppchen kochen. Auch wenn so was eigentlich nicht passieren dürfte.“ 

Anträge

Um 11.30 Uhr geht es weiter. Der Anwalt der Anklage ergreift das Wort und drückt seine Verwunderung darüber aus, dass die Staatsanwaltschaft die Wichtigkeit der neu gelieferten Beweise herunterspielen möchte. Er weist darauf hin, dass die neu gelieferten Inhalte auch mehrere unverschlüsselte Nachrichten beinhaltet, in denen unter anderem auch die Rede von „Kalaschnikows für Terroristen“ ist. 

Die Anklage kündigt nun eine Liste von 11 Anträgen an. Die Rechtsreferendarin Claudia Neher liest diese einen nach dem anderen vor und geht nach jedem einzelnen zum Richter, um ihm einen Ausdruck in Papierform auszuhändigen. Dreimal ruft der Richter, die Rechtsreferendarin bei einem falschen Namen. Ich wundere mich, dass er sich ihren Namen in der 17. Sitzung immer noch nicht einprägen konnte.

In den Anträgen wird gefordert, weitere Zeugen vorzuladen, Informationen auszuwerten, Elemente aus anderen Verfahren zur Kenntnis zu nehmen. Die Anträge offenbaren ein tiefes Misstrauen, nicht nur gegenüber dem Richter, sondern vor allem gegenüber der Staatsanwaltschaft. Dieser wird vorgeworfen, es versäumt zu haben Ermittlungen einzuleiten und Informationen nur schleppend freigegeben zu haben. Die Anwälte der Anklage vermuten sogar Abstimmungen zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Zollamt und sprechen dieser deshalb das Vertrauen ab. Vermutet wird unter anderem, dass Fehler von Ermittlern und die Rolle von V-Männern als Agent Provocateur vertuscht werden sollen. 

Der Staatsanwalt bezeichnet die Ausführungen als Fantasien und Unverschämtheiten. Er weist jede Anschuldigung, Absprachen geführt zu haben von sich und tut diese als Verschwörungstheorien ab. 

Der Anwalt der Anklage Yavuz Narin ergreift daraufhin das Wort. Er zitiert aus den ausgehändigten Chatprotokollen, in denen die Rede von „Türkenschweine“, „Waffen für Terroristen“ und Sympathie für die NSU bekundet wird. Er wirft der Staatsanwaltschaft „Realitätsverlust“ vor oder unwillig zu sein, den Fall aufklären zu wollen. Das Publikum applaudiert. Der Richter weist erneut darauf hin, dass dies zu unterlassen sei, da er sonst ein Ordnungsgeld verhängen würde. 

Es folgt der Antrag des Anwalts eines Nebenklägers, Onur Özata. Er wundert sich, dass die Kränkung des Mörders von Ermittlern, Behörden und Staatsanwaltschaft in den Vordergrund gestellt wird und damit indirekt auch die Opfer als Mobber stigmatisiert werden. Er sagt, dass ein rechtsradikaler Hintergrund viel wahrscheinlicher wäre und dass Hinweise darauf erdrückend wären. Hinweise dafür wären das Datum (auch der Rechte Attentäter Breivik verübte seine Tat an einem 22. Juli), Hakenkreuzschmierereien und Sympathiebekundungen für die AfD. Der Anwalt beantragt den Rechtsextremismusforscher Matthias Quent diesbezüglich anzuhören. Dieser wurde neben zwei weiteren Experten, von der Fachstelle für Demokratie der Stadt München beauftragt ein Gutachten über den politischen Hintergrund des Amokläufers zu erstellen. Alle drei kamen zu dem Schluss, dass die Tat politisch motiviert war. Für das Verfahren gegen den Waffenhändler wäre dies insofern relevant, da die Anklage dann „Beihilfe zum politischen Mord“ lauten würde. 

Der Richter ordnet eine einmonatige Unterbrechung der Hauptverhandlung an, um den Anwälten genug Zeit einzuräumen, um alle Dokumente einzusehen. Der nächste Termin wird für den 1. Dezember um 10 Uhr in der Stettner Straße angesetzt. Für die Folgetermine (siehe unten) steht der Saal noch nicht fest.

***

Den Weg von der JVA bis zur U-Bahn laufe ich. Noch immer scheint die Sonne und ich genieße deren Strahlen. Meine Gedanken kreisen um die Eltern der Ermordeten. Ich versuche mich in sie hinein zu versetzen und muss unwillkürlich an meine eigenen Kinder denken. Ich verwerfe den Gedanken, denn er erscheint mir unerträglich. Unerträglich weil so viel fassbarer. Nicht wie das Leid der Syrer. Dies ist so weit weg. Doch ist es das wirklich? Saß nicht ein Syrer neben mir in den Zuschauerrängen und beklagte das Leid seines Volkes? Ich frage mich, ob all diese Menschen die Strahlen der Sonne noch genießen können. 

Folgetermine

Datum Uhrzeit Adresse
01.12.2017 10 Uhr Stettnerstraße 10
13.12.2017 9 Uhr Steht noch nicht fest
19.12.2017 9 Uhr Steht noch nicht fest
20.12.2017 9 Uhr Steht noch nicht fest
10.01.2018 9 Uhr Steht noch nicht fest
15.01.2018 9 Uhr Steht noch nicht fest
19.01.2018 9 Uhr Steht noch nicht fest
26.01.2018 9 Uhr Steht noch nicht fest
09.02.2018 9 Uhr Steht noch nicht fest
14.02.2018 9 Uhr Steht noch nicht fest
16.02.2018 9 Uhr Steht noch nicht fest
21.02.2018 9 Uhr Steht noch nicht fest
28.02.2018 9 Uhr Steht noch nicht fest

3 Gedanken zu „OEZ Prozess – Chatprotokolle“

  1. Vielen Dank für diesen umfassenden, sehr datailierten Bericht und dafür, dass Sie damit dazu beitragen, dass die Öffentlichkeit informiert wird, was auch dieser Kampf in diesem bisher sehr bizzarem Prozess für die Eltern und Angehörige der unschuldigen Opfer bedeutet. Welche Qualen sie durchleben und wie ungerecht sie alles empfinden müssen…Auch ich als Zuhörerin und „Prozessbeobachterin“ kann Ihre Aussagen und die der Journalistin nur bestätigen, bin über die Prozessführung und die Haltung der Staatsanwaltschaft und der Richter sehr verwirrt, enttäuscht und wütend zugleich..Ich teile Ihre Gefühle und bei dem Gedanken an die Kinder dieser armen Eltern und meine eigenen Kinder, verliere ich die Fassung und muss aus Selbstschutz den Gedanken versuchen wegzuschieben, was mir nicht gelingt… Meine Gedanken sind seit dem 22. Juli 2016 bei den unschuldigen Engeln und ihren Familien..Ich leide mit ihnen..wir sind alle Opfer dieser schrecklichen Tat…Bitte bleben Sie weiterhin dran..Danke!

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    • Hallo Nena, danke für ihr Feedback. Ich möchte nur anmerken, dass Vorwürfe gegen Richter und Staatsanwaltschaft von den Anwälten der Anklage stammen, und ich diese nur wiedergebe. Ich selbst erlaube mir kein Urteil. Dafür fehlt mir der tiefe Einblick über die Beweislage und den bisherigen Verlauf. Ich versuche lediglich die Stimmung im Saal wiederzugeben. Dabei versuche ich neutrale zu bleibe. Das gelingt mir natürlich nicht vollkommen, allein wegen dem Mitgefühl mit den Familien.

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