OEZ Prozess – Vergesslischer Zeuge

Am Freitag nahm ich zum dritten Mal in Folge an einer Sitzung im OEZ Prozess gegen den Waffenhändler als Besucher teil. Anders als ursprünglich angekündigt, fand die Verhandlung diesmal im Justizpalast in der Prielmayerstraße statt, einem imposanten geschichtsträchtigen Palast in der Nähe von Stachus.

(Tag 1 meiner Teilnahme als Beobachter am OEZ Prozess)

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Nach den obligatorischen Durchsuchungen, sowohl im Eingangsbereich als auch vor dem Saal im ersten Stock, betrat ich den eigens hergerichteten Verhandlungsraum. Es handelte sich dabei um einen schönen hellen Saal. Die Wände im Deckenbereich mit Wappen, Richtern, Königen und Inschriften wie „Corpus Iuris“ und „Montesquieu“, verziert. Die großen Fenster zeigten direkt auf den Stachus und man konnte auch die hellleuchtende Reklametafel des gegenüberliegenden Kinosaals sehen. Der Raum war groß und ich nahm in der letzten Reihe Platz. Insgesamt bot der Raum ausreichend Platz für über 100 Anwesende, davon jeweils 33 für Besucher und Presse, 25 für Anwälte und Nebenkläger und der Rest für Staatsanwälte, Angeklagte und Richter. Als die Sitzung kurz nach neun begann, zählte ich 8 Pressevertreter und 52 Besucher. Später erklärte der Richter, dass der Saal extra für diesen Prozess bestuhlt wurde und für dessen Dauer bereitstehen wird, um der Bedeutung gerecht zu werden. Eine späte, jedoch richtige Einsicht.

Als der Angeklagte den Raum betritt, trägt er einen Pullover mit der Aufschrift „Uncle Sam“, fast zeitgleich betritt ein alter Herr den Raum mit einer auffällig roten Krawatte mit dem Konterfei Kemal Ataturks. Der Zufall ließ mich schmunzeln.

Verirrte Gäste

Während der Richter die Anwesenheitsliste durchging, betraten zwei Asiatinnen den Raum und nahmen neben mir Platz. Sie unterhielten sich leise und verdeckten den Mund, während sie erheitert jedoch lautlos lachten. In der Hand hielt eine der beiden, eine Broschüre mit der Aufschrift „Free Munich Map“. Ich fragte mich, wie zwei Touristen sich bis in den Saal eines solchen Prozesses verirren können. Als eine der beiden anfängt, mit ihrem Handy zu spielen, wird sie von einer Justizbeamtin aufgefordert dieses auszuschalten, worauf beide den Raum fluchtartig verlassen.

Vergesslicher Zeuge

Die Verhandlung beginnt mit dem Aufruf des Zeugen B. Dieser teilte sich im Januar 2017 ein paar Wochen die Zelle mit Häftling S in der JVA Erding. Häftling S machte zuvor Angaben zu dem Angeklagten Phillip Körber, die der heutige Zeuge B bestätigen sollte. Anders als erwartet, konnte oder wollte dieser jedoch keine Angaben machen. Immer wieder sagte er, sich an nichts erinnern zu können oder nichts gewusst zu haben. Seine Aussagen waren teilweise auch widersprüchlich. So gab er anfangs an, dass der Angeklagte nie in seiner Zelle war um später dann zu erzählen, dass sie dort zusammen Mau-Mau gespielt haben. Auch konnte er sich an keinen einzigen Namen erinnern, nicht einmal an die der eigenen Zellengenossen. Das einzige Detail, an das er sich erinnern konnte, war das Hakenkreuz, das  der dritte Häftling in der Zelle auf „Brust oder Rücken“ tätowiert hatte.

Diese Vergesslichkeit und Ahnungslosigkeit sorgte im Gerichtssaal für Verwunderung. Als die Fragen der Anwälte immer bohrender wurden, fragte der Zeuge genervt: „Bin ich jetzt Angeklagter hier?“ und „Ich kann keine Angaben zu diesem Sachverhalt machen.“. Er berief sich auf seinen schlechten gesundheitlichen Zustand und wünschte immer wieder in seine Therapie zurückzukehren. Ein Anwalt fragte den Zeugen, was er fühle, jetzt wo er erfahren hat, dass der Angeklagte mitverantwortlich für den Tod von 9 Menschenleben ist. Darauf antwortete der Zeuge: „Ich habe gar keine Gefühle für andere Menschen. Ich versuche mein Leben gerade in den Griff zu bekommen. Ich möchte meine Therapie abschließen. Gefühle habe ich im Moment deshalb nur für meine Familie und meine Kinder.“

Nach gut einer Stunde wird der Zeuge entlassen. Als er den Saal verlässt, ist die Enttäuschung unter Anwälten, Nebenklägern und den meisten anderen Anwesenden spürbar.

Verdeckte Ermittlungen

Im Anschluss verliest ein Richter, dass der Antrag der Nebenkläger auf Aussage eines weiteren Zeugen abgelehnt wurde, da sonst verdeckte Ermittlungen gefährdet würden und damit die „Erfüllung öffentlicher Aufgaben“ durch die Sicherheitsbehörde ernsthaft gefährdet würden.

Chatprotokolle

Nach einer kurzen Pause kündigt eine Anwältin der Nebenklage an, 39 Stellen aus den Chatprotokollen vorlesen zu wollen. Für die Auswertung dieser Protokolle wurden die Verhandlungen zuvor vier Wochen unterbrochen. Der Anwalt des Angeklagten spricht sich gegen ein öffentliches Vorlesen aus und schlägt vor, eine Selbstlesemappe für die Prozessbeteiligten zusammenstellen zu lassen. Der Richter befürwortet das Vorlesen der relevanten Stellen und begründet dies mit dem Interesse der Öffentlichkeit an den Verhandlungen.

Die Passagen offenbaren eine menschenverachtende Haltung des Angeklagten und anderer Mitglieder aus dem Forum im Darknet. Unter anderem ist die Rede von „Moslem Ratten“ und „Musels“ und „Kalaschnikows für Terroristen“. An einer Stelle wünscht sich der Angeklagte einen „Dritten Weltkrieg oder eine Zombieapokalypse“ herbei. Um die Effektivität einer Waffe zu beschreiben, schreibt er weiterhin, dass „sie für einen kleinen Terroranschlag mit 100 Toten“ reichen würde. Eine andere Waffe könne man auch „einfach geladen in die Menge werfen und lässt sie dann um sich selbst drehen.“ An einer anderen Stelle gibt er detaillierte Anleitung, wie man eine asymmetrische verschlüsselte Anfrage über PGP, einer Verschlüsselungstechnologie, für den Kauf illegaler Waffen im Forum erstellt.

Nachdem die Anwältin die unterschiedlichen Stellen zitiert hat, verliest der Vorsitzende Richter einige weitere Stellen, die er zuvor als potenziell relevant identifiziert hatte. In diesen Einträgen wird ersichtlich, dass der Angeklagte seit 5 Jahren Waffen sammelt und dafür schon mal bis nach „Bratislava und in die Tschechei“ gefahren ist. Der Richter liest auch Beiträge aus dem Forum, wo über Zahlungen per Bitcoin diskutiert wird. Auch einen Forumseintrag, in dem der Täter Sonboly eine Glock 17 unter dem Namen Mauracher sucht, wird gelesen.

Befreite Zeuge

Nach anderthalb Stunden sind alle relevanten Stellen gelesen. Der Richter kündigt an die Verhandlung zu vertagen. Ein Anwalt weist den Richter auf einen Bericht (1) im SWR hin. Dort hat ein gewisser Uwe S. Aussagen über den Fall gemacht. Uwe S. trat zuvor als Zeuge im OEZ Prozess auf, verweigerte allerdings die Aussage da er „Angst um sein Leben“ habe. Der Anwalt argumentiert, dass diese Angst nicht mehr aktuell zu sein scheint, da er und seine Eltern ja nun im Fernsehen ausgesagt haben und bittet deshalb um eine erneute Vorladung des Zeugen.

***

Gegen 14Uhr verlasse ich den Justizpalast und mache mich auf den Weg nach Hause. Dort erwartet mich meine zwei Wochen alte Tochter. Sie hat ihr Leben gerade erst begonnen und ich hoffe sie hat noch viele Jahre vor sich. Ich gehe an den Angehörigen der ermordeten vorbei. Ihre geliebten hatten nur ein kurzes Leben. Nichts wird ihre Trauer je mindern können. Zwischen Leben und Tod liegt manchmal nicht viel. Manchmal trennt sie nur ein einziges Gefühl: Hass.

[sta_anchor id=“reportmainz“ unsan=“ReportMainz“ /](1) Report Mainz vom 28.11.2017: https://www.swr.de/report/das-netz-hinter-dem-muenchener-attentat-wurde-david-s/-/id=233454/did=20470950/nid=233454/s7dwvz/index.html

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Datum Uhrzeit Adresse
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2 Gedanken zu „OEZ Prozess – Vergesslischer Zeuge“

  1. Vielen, vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht und dem SWR Beitrag. Ich kann leider nicht mehr zu den Verhandlungen kommen und bin darum sehr froh, dass Du darüber so detailliert schreibst.
    Ich war ja da, als die Schwester von Uwe F. ausgesagt hatte.
    Liebe Grüße, Eveline

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    • Es freut mich, wenn die Berichte ein wenig dazu Beitragen, die Aufmerksamkeit für den Prozess zu stärken. Ich werde allerdings nicht an allen zukünftigen Verhandlungen Teilnehmen können. Ich bin gespannt, ob es erneut zu einer Befragung von Uwe F. kommen wird.

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