Vor einigen Wochen erhielt ich über Facebook eine Freundschaftsanfrage von einem Syrer. Wie immer schaute ich mich ein wenig in seinem Profil um, bevor ich seine Anfrage akzeptierte. Wie ich schnell erkannte, lebte er in der umkämpften syrischen Stadt Aleppo und schien dort relativ aktiv zu sein. Ich sprach ihn an und fragte, wie es ihm ginge und ob die zu dieser Zeit geltende Feuerpause eingehalten wurde. Er erzählte mir, dass es relativ ruhig war, dass er aber befürchtete, dass es am nächsten Tag wieder losgehen würde. Als ich mich kurz vorstellte und von meinem Blog erzählte, sagte er, dass er im humanitären Bereich unterwegs war und in der Bildung von Kindern. Ich bat ihn, mir mehr vom Alltag der Kinder im Bildungsbereich zu erzählen und er versprach mir einiges aufzuschreiben und ein paar Bilder zu schicken. Eine Woche später meldete er sich bei mir und schickte mir, wie versprochen, ein paar Bilder und einen kurzen Text und beantwortete dann einen Haufen Fragen, die ich ihm stellte.
Natürlich kann ich nichts von dem, was er mir erzählt hat, verifizieren, dennoch entschied ich mich seine Erzählung, gestützt durch ein paar Bilder, zusammenzuschreiben und hier zu veröffentlichen. Denn auch wenn er sich als Unterstützer der Revolution zu erkennen gab, so beschränkte er sich auf eine relativ neutrale Schilderung eines Aspektes des tristen Alltags im Krieg, ohne dabei irgendeine Kriegspartei in übertriebenem Maße zu erwähnen.
Was folgt ist ein Interview über den Alltag im Bereich der Bildung mit Yazan Ashour.
***
Seit Aleppo unter Dauerbeschuss der Kriegsflugzeuge steht und auch Wohnviertel von den Bombardierungen nicht ausgenommen sind, werden auch Schulen und Krankenhäuser regelmäßig gezielt angegriffen. Doch diese Angriffe werden unsere Hoffnung in eine bessere Zukunft nicht ersticken, weshalb wir versuchen trotz der Gefahren, denen Schüler und Lehrer ausgesetzt sind, eine neue Generation auszubilden. Viele ehemalige Studenten und Studentinnen, die Teil dieser Revolution waren, haben sich zusammengeschlossen und in unterirdischen Kellern kleine Schulen eröffnet, da dort das Risiko, gezielt angegriffen zu werden, geringer ist und auch im Falle eines Angriffs, die Folgen geringer sind.
Unterrichtet werden in diesen Schulen alle Klassen, von der Grundschule bis hin zum Abitur. Die Schulunterlagen wurden durch die Unabhängige Schulbehörde der befreiten Stadt Aleppo angepasst. Dabei wurden alle angeblichen Errungenschaften des Regimes und dessen Propaganda gestrichen.
Wieviel solcher Schulen gibt es?
Es sind insgesamt zehn solcher Schulen, in denen jeweils bis zu 200 Schüler unterrichtet werden. Größtenteils sind diese Schüler sehr jung, das heißt Grundschulschüler. Zusätzlich gibt es einige Keller für die Freizeitgestaltung. Die Schulen sind verteilt über die Stadt und werden meistens von Kindern besucht, die in unmittelbarer Nähe wohnen. Meist nicht weiter als 300 m, da der Schulweg sonst viel zu gefährlich ist.
Wie sieht der Schulalltag aus?
Unterrichtet wird an fünf Tagen in der Woche jeweils 4 Stunden. Das Wochenende ist Donnerstag und Freitag. Auch wenn einige Hilfsorganisationen uns helfen, so haben wir oft viel Mühe das nötige Schulmaterial bereitzustellen. Wegen der engen Belagerung müssen sich mehrere Schüler jedoch oft ein Buch teilen. Dennoch versuchen wir mit dem zu arbeiten was uns zur Verfügung steht.
Strom haben wir in den Schulen nur durch Autobatterien, mit denen wir kleine LED Lichterketten betreiben können.
Wie beeinflusst das Kriegsgeschehen euren Alltag?
In den Kellern sind wir relativ geschützt und bekommen von dem meisten Kriegslärm nichts mit. Eine Ausnahme sind jedoch die bunkerbrechenden Bomben. Diese lassen alles erschüttern und richten viel Schaden an. Zum Glück wurde bis jetzt nur eine einzige unserer Schulen getroffen. Auch wenn der Treffer nicht direkt war, so verursachte er große Schäden, die wir jedoch wieder beheben konnten. Zum Zeit des Angriffs war diese Schule zudem leer und keiner unserer Schüler trug einen Schaden davon.
Wenn solche Art Bomben in der Nähe einschlagen, dann erzittert die gesamte Schule und es ist ein sehr beängstigendes Erlebnis. Die Lehrerinnen versuchen dann, die Kinder zu beruhigen und ihnen Mut zuzusprechen.
Es gibt auch Tage, an denen die Bombardierungen so stark sind, dass die Schulen für mehrere Tage geschlossen bleiben oder einige Kinder nicht kommen können, weil der Schulweg zu gefährlich ist.
Wenn Angehörige von Kindern getroffen wurden, dann versuchen die Lehrer die Kinder abzulenken oder sie zunächst von den Geschehnissen abzuschirmen. Auf jeden Fall versuchen wir, sie soweit es geht, von Todesschauplätzen mit Blut und Verletzungen fernzuhalten.
Warum begeben sich die Familien dieser Kinder nicht auf die Flucht?
Erstens hängen noch immer viele an ihrer Heimat und es fällt ihnen schwer ihr den Rücken zu kehren. Dann ist die Flucht sehr kostspielig und sehr viele Familien können es sich schlicht nicht leisten. Und schließlich wird die Stadt zur Zeit belagert so dass es schier unmöglich ist sie zu verlassen.
Die Schule, die in dem Dorf „Haaß“ nahe von Aleppo getroffen wurde , war diese auch in einem Keller?
Nein, das war eine normale Schule der Regierung. Jeder wusste genau, dass es eine Schule war. Das ist eben auch der Grund, warum wir unsere Schulen nur noch in den Kellern betreiben. Es ist sicherer. Außer wenn sie von bunkerbrechenden Bomben getroffen werden, dann werden auch diese zerstört. Gott sei Dank blieben wir bis jetzt größtenteils verschont.
Was hast du eigentlich vor dem Krieg gemacht?
Ich habe einen Abschluss an der Universität für Wirtschaft. Nebenbei habe ich als Grafiker für eine Werbeagentur gearbeitet. Jetzt arbeite ich seit drei Jahren als Lehrer.
***
Am Ende des Gesprächs fragte ich Yazan, ob er möchte, dass ich seinen Namen nenne. Er sagte, dass ich dies gerne machen kann. Ich fragte, ob es nicht eine Gefahr für ihn darstellen könnte. Er deutete schriftlich an, dass er lachen musste und schrieb: „Mein Freund, von welcher Gefahr redest du? Wir leben in der gefährlichsten Stadt der Welt. Solange wir gesund sind, ist uns das alles mittlerweile egal.“
Während ich mit ihm schrieb, saß ich in meinem Wohnzimmer und meine Kinder schliefen friedlich nebenan. Die Situation erschien mir surreal und fast schon unerträglich.
Es ist nicht vorstellbar, was diese Stadt erleidet, diese Kinder erleben müssen.