Erzähl mir von Deutschland, Soumar

Der Verleger kontaktierte mich per Mail und bot  an, mir das Buch kostenlos zuzuschicken mit der Bitte es zu lesen und eventuell auf meinem Blog zu besprechen. Da ich mich viel mit dem Thema befasst habe, sagte ich zu und las das Buch in den zwei darauffolgenden Wochen. Hier nun meine Buchkritik.

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Der Autor Florian Schmitz, ein ausgewanderter Deutscher, trifft Soumar, einen syrischen Flüchtling in Griechenland. Er begleitet ihn in diesem Buch auf dessen Weg nach Deutschland und in die deutsche Gesellschaft. Und auch wenn diese Reise und das Einleben in Bremen den roten Faden durch die 285 Seiten spannt, so geht es nicht ausschließlich um Soumar. Es geht vor allem auch um die Sichtweise des Autors auf Deutschland, die sich im Laufe der Zeit von einer anfänglichen Aversion in eine differenziertere, teilweise wohlwollende Sicht wandelt.

Der Autor beschreibt mit viel Humor Situationen, die er mit Soumar erlebt. Dabei analysiert er oft sehr selbstkritisch seine eigenen Gefühle ebenso wie die Reaktionen Soumars.

Aus diesem Blickwinkel bietet das Buch eine interessante Sicht auf Deutschland und auf viele Situationen, die uns im alltäglichen Leben begegnen. So erkennt der Autor unter anderem plötzlich Vorteile deutscher Pünktlichkeit und Ordnung, er lernt Errungenschaften, wie das hiesige Sozialsystem zu schätzen, und entdeckt wider Erwarten bei Fußballfans große Solidarität und viel Menschlichkeit.

Für ein wohliges Gefühl sorgten bei mir auch die mir bekannten Situationen und Schauplätze aus dem Buch. So wurde Erinnerungen an einen nächtlichen Besuch an der Grenze Simbach-Braunau in mir erweckt, an meinen Aufenthalt in Idomeni und Thessaloniki in Griechenland und meinen Besuch in der KZ-Gedenkstätte in Dachau mit einem syrischen Freund.

All dies hätte dieses Buch zu einer interessanten und erfrischenden Lektüre machen können, wäre da nicht ein Makel, der dem ganzen einen unschönen Beigeschmack verlieh.

In einem ausführlichen Kapitel wird in dem Buch über Freiheit diskutiert: Die Freiheit zu glauben und vor allem über die Freiheit sich dem Glauben zu entziehen. Es wird über die Gräueltaten von Radikalen geredet, die die eigene Denkweise durch Gewalt und Terror anderen aufzwingen wollen. Auch an anderen Stellen ist die Rede von Terroristen, Radikalen und Islamisten, die in Syrien wüten. Als einzige weitere Kriegspartei wird an einer Stelle, gegen Ende des Buches, die Freie Syrische Armee erwähnt, die einen Freund Soumars bei einem Angriff auf ein Trainingslager der Syrischen Armee tötete. Doch nirgends im gesamten Buch, werden die Gräueltaten des Regimes thematisiert oder auch nur angedeutet, obwohl diese die Mehrheit der Opfer in diesem Krieg auf dem Gewissen haben.

Nun könnte man es damit erklären, dass Soumar selbst Alewit ist und er nie unter diesem Regime leiden musste, es ihn im Gegenteil sogar Schutz geboten hat. Doch ist dies ein Grund die Verbrechen des Regimes und seiner Alliierten als einzige Kriegspartei unerwähnt zu lassen? Ich habe selbst mit Alewiten gesprochen und gelernt, dass sie nicht alle hinter diesem Regime stehen, sondern einige sich ihm sogar offen entgegenstellen. Doch auch wenn man dies so akzeptiert, warum thematisiert der Autor selbst diesen Aspekt nirgends?

Vor einigen Monaten war ich mit einem Syrer im KZ in Dachau. Als wir dort Bilder von ausgehungerten Gefangenen und den Berge von Toten sahen, kam sofort die Rede auf Madaya, das Yarmouk Lager, die Gefangenen aus Saidnaya oder Caesars Berichte über die Todesmaschinerie des syrischen Regimes.

Auch der Autor begleitet Soumar in ein KZ, das in Bergen-Belsen. Auch sie sehen dort vergleichbare Bilder und Videomaterial und doch wird nur Religion und Rassismus als Auslöser solcher Verbrechen thematisiert. Freiheit, soziale Gerechtigkeit, Despotismus und Diktatur finden in dem Buch keine Erwähnung. Im Angesicht all der anderen philosophischen Gedankenexperimente, die der Autor führt, eine überraschende Unzulänglichkeit.

Im KZ Bergen-Belsen fragt Soumar, wie es sein kann, dass die Menschen damals zu Nazizeiten im benachbarten Dorf nichts unternommen haben. Darauf antwortet der Autor: „…viele wollten es einfach nicht wissen…“

Ein ähnlicher Gedanke zu beiden Protagonisten drängte sich mir ab der zweiten Hälfte des Buches immer mehr auf: „Was in Syrien wirklich passiert, wollen sie einfach nicht wissen oder zumindest nicht drüber reden.“

Leider führt diese vereinfachte und vor allem einseitige Darstellung der Situation in Syrien zu einer pauschalisierten Sicht auf die Menschen, die in Deutschland ankommen. Das Buch in dem der Integrationswille eines einzelnen gewürdigt wird, erhebt dabei leider ungewollt, Zweifel an der Integrationsfähigkeit derer, die sich der Religion verbunden fühlen. Gleichzeitig wird verschwiegen, dass die meisten Syrer vor einer säkularen blutrünstigen Diktatur Geflüchtet sind, die die Religion,  wie einen Spielball benutzt,  mit dem die verschiedenen Konfessionsgemeinschaften ausgespielt werden.

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