Donnerstag, der 21.04.2016
Nachdem ich mit anderen Helfern die Nacht zuvor bis um zwei Uhr morgens Zelte im Camp in Idomeni aufgebaut habe, traf ich heute erst gegen Mittag im Parkhotel ein. Von dort aus fuhr ich mit anderen Helfern erneut ins Camp. Ich drehte mit einem Arzt und zwei Helferinnen eine Runde. Wir untersuchten Menschen, verteilten Sonnencappies, Wundschutzsalben, Sonnencreme und Haarbürsten.
Später brachten die Helferinnen eine Ladung Zahnbürsten und Zahnpasta zur Campschule. Der Arzt verabschiedete sich und ich machte mich auf die Suche nach einem jungen Mädchen. Ich sollte ihr etwas von einem Helfer aus München übergeben.
Ich kontaktierte sie per WhatsApp und wir verabredeten uns an dem Schienenübergang. Dort angekommen sah ich einen jungen Mann, der ein Pappschild hielt. Auf diesem stand: ‚Ihr seht nur Fantasien, während wir der harten Realität gegenüberstehen. Don Quichote.‘ Bereits am ersten Tag ist mir der Mann aufgefallen. Auch da stand er mit einem Schild am Bahnübergang.
Begegnung 1: Reqqa stirbt leise
Ich gehe zu ihm und frage ihn, woher er kommt. Er antwortet: „Aus Al-Raqqa.“
„Bist du vor Daesh (IS) geflohen?“, frage ich.
„Ja“
„Was hast du gemacht, bevor Daesh Al-Reqqa erobert hat?“
„Ich war Journalismus Student.“
„Als Journalist hat man es dort bestimmt nicht leicht gehabt. Da gab es doch so eine Gruppe, die insgeheim aus Al-Reqqa berichtet hat. Kennst du die?“
„Ja, ‚Al-Reqqa wird unter Schweigen geschlachtet‘, nannten sie sich. Zwei von ihnen wurden ermordet. Der Mörder stand übrigens auf der Todesliste von Daesh. Durch den Mord hat er Daesh seine Treue bewiesen und wurde begnadigt.“
„Wie war es für dich? War das Leben schlimm dort?“, frage ich weiter.
„Weißt du was es heißt, lautlos zu sterben? Wir sterben dort lautlos. Niemand hört uns. Du ziehst dich zurück und gibst auf alles Acht, was du tust. Alles könnte zu deinem Tod führen. Selbst rauchen verbieten sie dir.“
„Ich habe gehört, dass viele von Daesh selber rauchen.“
„Ja das stimmt zwar, aber sie machen es nur heimlich, wenn niemand zuschaut. Denn sie sind auch untereinander sehr streng und bestrafen sich hart.“
Begegnung 2: Scharfschützen
In dem Moment kam das junge Mädchen, begleitet von ihrer Mutter und einer Freundin. Ich übergab ihr das Paket. Ihre Mutter bestand darauf, mir das Zelt der Familie zu zeigen.
Wir liefen an Flüchtlingen vorbei, die am Wegrand Zigaretten, Brot oder Getränke zum Verkauf anboten. An einem Stand bot jemand sogar gekühltes Bier an, was niemanden weiter zu stören schien. Zwischendurch stand ein Mann hinter einem Stuhl und bot seine Dienste als Friseur an.
Wir erreichten das Zelt der Familie. Es stand mit anderen Zelten in einem großen Kreis. In den anderen Zelten wohnten Onkel und andere Verwandte mit ihren Kindern. Bei meiner Ankunft begrüßten mich alle sehr herzlich und boten mir einen Tee an.
Eine Tante, sie war ca. 30 Jahre alt, fragte, ob ich einer Organisation angehöre. Ich erzählte ihr von meinem Blog und sie fing an, mir ihre Geschichte zu erzählen: „Ich bin hier, um meinen Sohn behandeln zu lassen. Er wurde von einem Scharfschützen am Kopf getroffen und trägt nun immer noch die Splitter in sich.“
„In seinem Kopf?“, fragte ich.
„Ja, sie stecken in seinem Gehirn. Ich kann es dir zeigen.“ Sie holte zwei Röntgenbilder aus ihrem Zelt, auf denen die Splitter deutlich zu erkennen sind.
„Wie ist das passiert?“
„Wir sind aus Qalamoun. Die Stadt stand unter starken Beschuss durch das Regime. Daher verließen die Einwohner in einem Konvoi von über 360 Bussen die Stadt. In jedem Bus saßen 50, vielleicht auch 60 Menschen. Unterwegs wurden wir von Soldaten des Regimes angehalten. Sie sagten uns, dass vor uns heftige Kämpfe mit den Rebellen herrschten. Also warteten wir von 2 Uhr nachts bis 9 Uhr morgens mit der Weiterfahrt. Dann sagten sie uns, dass es nun sicher sei. Daraufhin durften wir weiter fahren. Nachdem wir eine Weile gefahren sind, kam es auf einmal zu einer Karambolage. Mehrere Busse kollidierten jeweils mit dem voranfahrenden Bus. Anscheinend wurden die Fahrer von Scharfschützen erschossen. Wer die Schützen waren, wussten wir nicht. Der Fahrer von unserem Bus wurde zum Glück nicht getroffen. Er bückte sich unter sein Lenkrad und fuhr mit hoher Geschwindigkeit, fast ohne dabei einen Blick auf die Straße werfen zu können. Jemand im Bus rief allen zu, dass wir uns nach unten bücken sollen. Mein Sohn saß auf meinem Schoß. In dem Moment, als ich mich nach unten beugte, hörte ich einen Knall und spürte, wie Blut über uns floss. Es war so viel Blut! Dann merkte ich, dass sie meinen Sohn in den Kopf getroffen haben.“
Während sie redete, sah ich die Bilder vor mir. Es lief wie ein Film in mir ab, doch es war kein Film.
„Nur weil mein Sohn verletzt wurde, habe ich mein Land verlassen. Sonst wäre ich niemals gegangen. Was soll ich hier?“
„Hat sich sein Verhalten geändert? Ich meine, merkt man ihm an, dass etwas in seinem Kopf steckt?“, fragte ich.
„Ja, man merkt es. Manchmal flucht er auf einmal grundlos. Es kommt auch vor, dass er dir einfach sein Glas ins Gesicht schüttet und nicht weiß, warum er das getan hat.“
Der Junge stand neben uns. Er sah genervt aus, schien aber sonst normal. Ich wusste nicht, was ich darauf sagen soll, daher fuhr sie fort: „Wenn du mir sagen würdest: ‚Steigt erneut in ein Boot ein.‘, ich würde es nicht mehr tun. Ich würde nicht mehr herkommen und meine Kinder dieser Gefahr aussetzen. Sieben Stunden lang irrten wir im Meer umher.“
„Warum hat das so lange gedauert? Normalerweise braucht man für die Überfahrt doch nur zwei Stunden?“
„Der Motor ist auf einmal stehen geblieben. Die Wellen wurden immer höher. Es war so schlimm, dass wir anfingen, das Glaubensbekenntnis zu rezitieren, da wir dachten, dass wir sterben würden. Aber das war uns gleichgültig. Eigentlich hätten wir in Syrien schon sterben sollen. Ich dachte mir also: Dann sterben wir eben hier. Wir haben die griechische Küstenwache um Hilfe gebeten, doch die sagten uns nur, dass wir in Sicherheit seien. Was für ist das für eine Sicherheit? In dem Boot waren 63 Menschen darunter 33 Kinder. Kannst du dir das vorstellen? 33 Kinder?“, sie hielt kurz inne, um gleich wieder weiter zu reden: „Ich bin aus meinem Land geflohen, auf der Suche nach Sicherheit. Ich bin nicht hergekommen, um Steine zu werfen, damit man mir die Grenzen öffnet.“. Wir reden eine Weile über die Situation im Camp und über die Kinder. Irgendwann fragte ich: „Habt ihr die griechischen Militärübungen letzte Woche mitbekommen?“
„Ja, haben wir. Das alles geschah mit dem Ziel, uns ein Signal zu senden. Meine Tochter hat zwei Tage lang immer wieder gefragt: ‚Mama kommt Syrien jetzt hierher? Wird Syrien uns jetzt hier angreifen?‘ Die Angst, die sie hier verspürt haben, war fast schlimmer, als zuvor in Syrien.“
„Warum war es fast schlimmer?“
„Der Flugzeuglärm war ohrenbetäubend. Die Kampfflugzeuge flogen sehr tief und mit einem schrecklichen Lärm über uns hinweg. Die Kinder haben sich wie in Syrien die Ohren zugehalten.“, sie deutete an, wie sich die Kinder die Ohren zuhalten und sich dabei hinhocken. Dann sprach sie weiter:
„Jeden Tag fragen sie, wie lange wir hier noch bleiben müssen. Ich sage: Noch einen Tag, noch zwei Tage, noch drei Tage. Jedes Mal erzählen wir ihnen etwas anderes. Das ist unser Leben hier.“
Sie sagte einen Augenblick nichts und fing dann wieder an zu reden: „Wo bleibt die Menschlichkeit? Als es hier zwei Wochen ständig geregnet hat, sind wir jedes Mal auf diese Straße gegangen und haben uns unter Regenkappen versteckt. Als es zu regnen aufhörte, gingen wir zurück ins Zelt und machten alles so gut es ging sauber. Wir Erwachsenen zitterten vor Kälte. Kannst du dir vorstellen, wie es den Kindern erging? Bitte bringt diese Botschaft an die Welt. Ich wäre euch sehr dankbar dafür. Die Organisationen, wie z.B. die Uno, sind auch nicht auf unserer Seite. Sie sagen uns: Kommt und registriert euch in den Camps, das ist sicher. Bei Gott, sag mir die Wahrheit! Das hier ist ein Camp und das dort ist auch ein Camp. Ich bin nicht gekommen, um zu Essen und zu Trinken. Ich habe nur ein Ziel: Ich will mein Kind behandeln lassen! Was ist der Unterschied zwischen diesen Camps?“
„Der Unterschied ist, dass die anderen Camps offiziell und organisiert sind.“
„Nein, nein, nein. Unsere Nachbarn sind dort hingegangen. Sie haben erzählt, dass sie in einen Wald gebracht wurden, irgendwo weit weg. Bevor sie in das Camp gekommen sind, sind sie ausgestiegen und auf eigene Kosten wieder hierher zurückgekommen.“
„Sie sind also nicht bis in das Camp gekommen?“
„Nein, sie hatten zu große Angst. Wir Syrer haben zu viel Horror durchgemacht.“
Ein Mann aus der Familie sagte: „Würdest du mit deinen Kindern in einem Wald voller Schlangen schlafen wollen?“
„Habt ihr hier auch Schlangen?“, fragte ich.
„Ich habe bereits vier Schlangen hier getötet.“, sagte der Mann.
„Ich habe zwei getötet.“, sagte ein anderer.
„Sind die Schlangen groß?“
„Ja, die sind sehr groß. So ungefähr.“, sagte er und zeigte eine Armlänge.
Begegnung 3
Nachdem ich mich verabschiedete, machte ich mich weiter auf den Weg. Ich traf eine alte Frau, die mich ein wenig an meine Mutter erinnerte. Ich kam mit ihr ins Gespräch. Sie war 62 Jahre alt, sah jedoch älter aus. In Idomeni war sie mit ihrem alten kranken Mann.
„Wir sind doch nur ein Deal für Europa.“, sagt sie. „Als wir in Griechenland ankamen, waren noch überall die Grenzen offen. Dann wurde plötzlich wurde alles geschlossen. Weißt du, was Europa mit uns macht? Das ist Menschenhandel. Wenn sie unsere Organe verkauft hätten, wäre es vielleicht besser gewesen, denn wir sterben hier innerlich Tag für Tag. Wir haben unser ganzes Geld zusammengekratzt, um zu fliehen. Die wollen uns in Camps stecken? Wir sind nicht gekommen, um in Camps zu leben. Wir sind gekommen, um unser Leben zu verbessern. In Griechenland ist das nicht möglich.
Selbst für Tee müssen wir in langen Schlangen anstehen und wenn du Pech hast, ist nicht genug für alle da. Weißt du, während ich mit dir rede, zittern meine Beine. Und weißt du warum? Weil wir nicht genug zu Essen bekommen. Nichts, um uns zu stärken.
Ich habe zwei Söhne in Belgien und eine Tochter in Deutschland. Meine Kinder sind zu alt. Sie können mich daher nicht über den Familiennachzug holen.
Was ist die Lösung? Die Lösung ist, dass ich hier – weit weg von meinen Kindern – den Rest meines Lebens verbringe. Sie sagen uns, dass wir uns registrieren sollen. Danach können wir eine Umsiedlung beantragen. Das passiert aber nicht. Das ist eine Lüge. Warum finden sie keine Lösung für uns? Warum finden sie keine Lösung für die alten Menschen, die sich vor ihren Abkommen (mit der Türkei) auf den Weg gemacht haben?
Wir wollen nicht nur Essen und Trinken. Wir wollen ein Leben. Hier gibt es kein Leben für uns. Mein Mann und ich, wir sind zu alt, um noch zu arbeiten. Wir sind auch zu alt, um in solchen Camps zu leben. Hätten wir gewusst, dass die Grenzen geschlossen wären, wären wir nicht hergekommen. Wir haben unser Leben aufs Spiel gesetzt.“
Ein junger Mann, der dabei steht sagt: „Weiß du, manchmal scherzen wir rum und stellen uns vor, worauf wir Appetit hätten. Und weißt du wovon wir träumen? Von einem einfachem Spiegelei.“
Ein anderer fragt mich: „Was glaubst du, wo das hinführt? Wie denkst du, wird es weiter gehen?“
Ich zögere und sage: „Ich denke, sie wollen, dass ihr in die offiziellen Camps geht und lassen euch deshalb hier vor euch hinvegetieren, bis ihr aufgebt und in einen Bus einsteigt.“
Sofort antwortet die alte Frau: „Nimm das bitte auf: Bei Gott, ich werde in kein Camp gehen, es sei denn, auf einer Totenbahre. Sie sagen immer, wir sind Terroristen. Dabei lassen sie uns hier im Terror leben. Sie sind die wahren Terroristen. Uns hier so leben zu lassen – das ist doch Terror!
Hätten sie doch nur unsere Organe genommen. Sie hätten eine meiner Nieren nehmen können, auch wenn meine Nieren wahrscheinlich nicht mehr im bester Verfassung sind.“
In dem Moment kommt ein junger Mann dazu und sagt: „Sag ihnen, dass derjenige, der gezwungen wird, in Griechenland zu bleiben, während seine Familie bereits in einem anderen Land ist, der wird auf die schiefe Bahn geraten. Das ist ganz sicher. Was soll das? Mein Sohn ist dort und ich soll hier bleiben? Das ist doch nicht normal. Und wenn sie mir alles Geld dieser Welt geben, werde ich das nicht akzeptieren können.“
Die Vorfälle und die Helfer
Die alte Frau erzählt weiter: „Ich bin 40 km gelaufen, um zur mazedonischen Grenze zu kommen. Bis heute tun mir davon meine Beine weh. Als wir die Grenze übertreten haben, haben sie uns behandelt, als wären wir Kriegsgefangene. Das war Terror. Wir mussten uns alle auf den Boden setzen. Wer nicht schnell genug war, der wurde mit Schlagstöcken malträtiert.“
„Das war wie das Assad Regime. Sie haben uns geschlagen. Eine Frau haben sie auch geschlagen. Sie war um die 35 Jahre alt.“, wirft ein junger Mann ein.
„Bei Gott, sie haben die Frau fast zu Tode geprügelt.“, sagt die alte Frau zustimmend. „Es hörte sich an, würde er ihr die Knochen brechen. Sie hatte ein 12-jähriges Kind dabei. Sind wir Menschen oder Tiere in einem Wald?“
„War das in Mazedonien?“, frage ich.
„Ja, in Mazedonien.“
„Wie seid ihr nach Mazedonien gekommen? War da noch kein Zaun?“
„Doch, der Zaun war schon da. Er erstreckt sich aber nur über ein paar Kilometer. Wir sind um den Zaun herum gegangen und haben einen Fluss überquert.“
„War das dort, wo auch drei Menschen vor einigen Wochen ertrunken sind?“
„Ja, wir waren so um die 4000 Menschen, die losgegangen sind. Dann haben sie uns zurückgeschickt.“
„Wie kam es eigentlich dazu? Es wird behauptet, dass Helfer euch dazu angestiftet haben. Stimmt das?“
Ein weiterer junger Mann, der neben uns saß und eine Hose in einem Bottich wusch sagte: „Als wir vor zwei Monaten hier ankamen, ließen die Mazedonier nicht mehr als 20 Menschen pro Tag über die Grenze. Irgendwann schlossen sie dann den Übergang vollständig. Wir wissen nicht, was der Grund war. Das hat die Menschen natürlich niedergeschlagen. Niemand wusste, wie es weiter gehen soll. Also versammelten sie sich am 29.02. vor dem Übergang und wollten protestieren. Einige junge Männer wurden übereifrig und wollten das Tor durchbrechen. Darauf schossen sie mit Tränengas auf uns. Das war der erste Vorfall.“
„Aber wer hat den ersten Impuls gegeben?“
„Wir haben das untereinander ausgemacht.“, sagt die alte Frau. Die Jungen stimmen ihr zu.
„Es waren nicht die Helfer, die euch angestiftet haben?“, hake ich nach.
„Nein, bei Gott. Die Helfer haben uns nur begleitet. Auch Journalisten waren dabei, um zu filmen, falls etwas passieren sollte.“, sagt der junge Mann. Die alte Dame und die anderen stimmen ihm zu.
Der Mann der seine Hose Wusch erzählt weiter: „Wir blieben ungefähr einen Monat lang hier. Wieder wuchs der Druck und die psychische Last auf die Menschen wurde wegen dem Essen, der Insekten, der Ratten, der Mäuse und der Schlangen immer größer. Die Menschen ertrugen die Situation immer schlechter. Wir versammelten uns und vereinbarten, erneut zum Zaun zu gehen.“
„Es hieß aber, dass euch auch diesmal Helfer angestiftet haben. Es hieß sogar, dass Flyer mit Anweisungen und einer Wegbeschreibung verteilt wurden.“, sage ich erneut.
„Nein, das ist falsch. Es war unsere Idee. Wir haben es hier nicht mehr ausgehalten. Viele Helfer haben uns sogar gewarnt und gesagt, dass das zu Problemen führen wird.“, sagt einer.
„Es ist ungerecht, das zu behaupten. Die Helfer haben versucht, uns von unserem Vorhaben abzubringen. Aber sie sagten auch, dass sie uns begleiten werden, um uns zu helfen, wenn wir ihre Hilfe benötigen.“, sagte die alte Frau und fuhr fort: „Einige nahmen ihre Kinder, pflückten Blumen und gingen zum Zaun, um die Soldaten mit den Blumen zu bewerfen. Sie dachten, dass sie das vielleicht milde stimmen würde. Später versuchten aufgebrachte, junge Männer den Zaun zu stürmen. In dem Moment schossen die Grenzer mit Tränengas und Gummigeschossen auf uns.“
Menschenhandel
Der Mann, der seine Hose wusch, stand auf und ergriff das Wort: „Ich möchte einen Punkt ansprechen: In einigen Konferenzen, wie der vor kurzem in Brüssel, sagten die Politiker, dass sie es nicht zulassen wollen, dass die Menschenhändler die Situation der Flüchtlinge ausnutzen und deren Geld nehmen, um sie über illegale Wege an ihr Ziel zu bringen.
Vor einigen Monaten gab es noch einen Weg, über den die Menschen vom Roten Kreuz begleitet wurden und so von Griechenland bis nach Deutschland kamen. Die Schlepper operierten nur zwischen der Türkei und Griechenland.
Jetzt haben Mazedonien, Serbien, Österreich und Ungern ihre Grenzen geschlossen. Wem haben sie damit in die Hände gespielt?!“, fragt er mich, bevor er selbst antwortet: „Den Menschenhändlern! Ich plane beispielsweise gerade meine Reise nach Deutschland. Dafür muss ich sehr hohe Summen ausgeben. 2000 bis 3000€ verlangt ein Schlepper. Früher hat das gerade mal 100 € gekostet.“
Skype
Der junge Mann setzt sich wieder hin, wäscht weiter seine Hose und erzählt: „Ich habe lange mit der UN in Jordanien gearbeitet. Ich kenn mich mit den Gesetzen aus. Jedoch verstehe ich diese neuen Entscheidungen nicht. Sich über Skype registrieren zu lassen, was soll das sein? Ich wollte in Griechenland Asyl beantragen. Dafür muss man eine Nummer über Skype anrufen. Theoretisch sollte dir jemand antworten, über deine Kamera ein Bild von dir machen und dir dann einen Termin geben, an dem du deinen Antrag abgeben darfst. Das geht natürlich nur, wenn jemand bei Skype abnimmt. Aber da geht nie jemand ran.“
„Wie oft hast du denn schon versucht, dort anzurufen?“
„Ungefähr 150 mal. Ich habe nie jemanden erreicht.“
„Hast du es jeden Tag probiert?“
„Ja. Aber es ist nur eine Stunde am Tag jemand erreichbar. Und das auch nur drei Tage in der Woche.“
„Und es kommt niemand von der griechischen Regierung hierher, um die Leute einfach vor Ort zu registrieren oder um Termine zu vergeben?“
„Wir haben danach gefragt. Wir erkundigten uns nach einem Büro, bei dem wir persönlich vorsprechen können. Sie sagten uns: ‚Wenn du zu den Behörden gehst, werden sie dich wegschicken, weil du erst einen Termin per Skype ausmachen musst.’“
Vielen Dank für Ihre aufschlussreiche Arbeit.
Erschütternd.
Danke für Deine unermüdliche Arbeit !