Am Sonntag, dem 15. Mai, wurde ich von meiner Schwester zu der Zahnräder Konferenz eingeladen. Meine Schwester, die seit einiger Zeit im Vorstand des Zahnräder Netzwerks ist, schlug mir vor, über einige Projekte, die während dieser Konferenz vorgestellt wurden, in meinem Blog zu berichten.
„Das Netzwerk bietet aktiven, engagierten Muslimen aus Wirtschaft, Politik, Medien, Wissenschaft und dem sozialen Sektor eine professionelle Plattform, um sich gegenseitig kennenzulernen und zu unterstützen.“
Ziel des Netzwerks ist es, Muslime dabei zu unterstützen, gemeinsam für Deutschland positive Impulse zu setzen.
„Eine große Besonderheit der diesjährigen Konferenz [war], dass Newcomers (Geflüchtete) sich dieses Jahr auch mit ihren StartUp-Ideen anmelden [konnten].“
Und das war auch der Grund, weshalb ich eingeladen wurde. Es ging darum, die Newcomer kennenzulernen, deren Geschichte zu erzählen und deren Projekte vorzustellen, um zu zeigen, dass auch diese Menschen Träume haben. Träume, die sie zu Zielen machen und für die sie bereit sind zu arbeiten, auch wenn es manchmal nicht einfach ist. Übrigens ist „Newcomer“ mal ein cooles Wort um „Flüchtlinge“ zu ersetzen.
Ich habe also an diesem Tag mit fast allen Newcomern gesprochen und mit jedem ein kleines Interview geführt. Ich werde jedes dieser Interviews in den nächsten Tagen in einem eigenen Artikel veröffentlichen.
Das erste Interview führte ich mit Asem Hasna. Sein Projekt hieß:
Arduino & Programming for Refugees
„Kannst du dich kurz vorstellen?“
„Mein Name ist Asem Hasna, ich bin 22 Jahre alt und komme aus der Stadt Qatana in der Nähe von Damaskus.“
„Was hast du früher in Syrien gemacht?“
„Ich habe zwei Jahre lang Mathematik studiert. Weil dann aber mein Vater verhaftet wurde, musste ich mit dem Studieren aufhören und musste auch meine Stadt verlassen. Ich begann darauf in Khan-Eshih als Rettungssanitäter zu arbeiten. Ich half Kriegsverletze zu bergen und brachte sie in Krankenhäuser. Das habe ich ungefähr zwei Monate lang gemacht. Im April 2013 wurde ich selber getroffen und verlor dabei ein Bein.“
Er sprach ruhig und sachlich als würde er von einem einfachen Erlebnis erzählen. Sein letzter Satz überraschte mich jedoch, denn er stand neben mir und auch als wir gemeinsam einen ruhigen Raum suchten, merkte ich seinem Gang nichts an. Er bemerkte meinen fragenden Blick und sagte: „Ja mir wurde das linke Bein amputiert. Ich war unterwegs, um verletzte Menschen in ein Krankenhaus zu bringen, als sie unseren Krankenwagen beschossen haben.“
„Die Menschen, die du retten wolltest, wurden die auch durch Bomben getroffen?“
„Nein, das Gebiet aus dem ich sie bergen wollte, war Schauplatz eines Gefechts zwischen dem Regime und…“, er beendete seinen Satz nicht.
„Meinst du zwischen dem Regime und Daesch (IS)?“
„Nein, zu dieser Zeit gab es noch gar kein Daesch. Das war 2013. Da gab es ganz sicher nichts was Daesch hieß“, versicherte er.
Jordanien
„Wie ging es dann weiter, nachdem sie dein Bein amputiert haben?“
„Sie haben mich über Schlepperwege nach Jordanien geschmuggelt, damit ich dort behandelt werde.“
„Wer sind ‚sie‘? Wer hat dich dorthin gebracht?“
„Das waren die Ärzte, mit denen ich dort zusammengearbeitet habe.“
„Gehörten die einer internationalen Organisation an?“
„Nein, es war eine lokale Organisation. Wir kooperierten zwar mit der amerikanischen SAMS Foundation, für den Transport nach Jordanien hat aber die lokale Organisation gesorgt. In Jordanien dauerte meine Behandlung ein Jahr lang. Ich wurde in einem Monat 12mal operiert, hatte Reha und Physiotherapie und verbrachte viel Zeit im Krankenhaus. Seit dieser Zeit trage ich auch eine Prothese.“
„Wie ist die Qualität der medizinischen Behandlung dort gewesen?“
„Die Behandlungsmöglichkeiten waren akzeptabel und vor allem besser als in Syrien. Ich musste dann Jordanien verlassen, weil dort alle medizinische Unterstützung für Flüchtlinge gestoppt wurde.“
„Hat die Regierung das veranlasst?“
„Nein, das UNHCR (Hohes Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen) hat gesagt, dass es dafür kein Geld mehr hat.“
„Das ist doch ein Organ der Vereinten Nationen?“, frage ich erstaunt.
„Ja, die gesamten Vereinten Nationen waren nicht im Stande die verletzten Syrer zu versorgen“. Er sagte es und hörte sich dabei anklagend an.
„Wieviel Flüchtlinge gibt es in Jordanien?“
„Es gab dort schon länger Flüchtlinge. Diejenigen, die jetzt wegen des Krieges in Syrien dorthin geflohen sind, geschätzt 1,5 Millionen.“
„Und gab es in Jordanien viele Kriegsverletzte?“
„Ja, weil Jordanien von Syrien aus einfacher zu erreichen war als die Türkei.“
„Und die medizinische Versorgung wurde für alle Flüchtlinge gestoppt?“
„Ja, für alle. Die ganzen Wohltätigkeitsorganisationen haben versucht, die Lücke zu füllen und so viel wie möglich zu übernehmen. Es gab Fälle, in denen die Behandlung einfach gestoppt wurde und der Patient gestorben wäre, wenn Wohltätigkeitsorganisationen nicht eingesprungen wären.“
„Und was war mit der jordanischen Regierung? Warum hat die das nicht übernommen?“
„Die jordanische Regierung ist in den ersten zwei Jahren des Krieges für die Behandlungen aufgekommen. Dann hat das UNHCR die Kosten übernommen bis die Hilfe im September 2014 komplett eingestellt wurde.“
„Wie ging es dann weiter?“
„Nach meiner Behandlung habe ich bei einer Organisation in Jordanien gearbeitet, wo ich verschiedene Technologien gelernt habe: 3D Modellierung, 3D Drucken und Programmierung. Ich habe zwar Mathematik studiert, meine Programmierkenntnisse waren jedoch sehr begrenzt.“
„Was ist das für eine Organisation?“
„Sie heißt Refugee Openware. Diese Organisation nutzt technologische Mittel um Menschen in Kriegs- und Katastrophengebieten zu helfen.“
„Wie kann man sich diese Hilfe vorstellen? Kannst du mir ein Beispiel nennen?“
„In Jordanien benutzten wir den 3D Druck, um günstige Prothesen herzustellen. Natürlich nur Prothesen für die oberen Gliedmaßen. Für die unteren Extremitäten waren wir noch in der Entwicklungsphase.“
„Was waren das für Prothesen?“
„Mechanische Prothesen, um die Hand zu ersetzen. Wir waren auch dabei einen Prototyp für bionische Prothesen zu entwickeln.“
„Und gab es dort Verletzte, die diese Prothesen auch wirklich benutzt haben?“
„Wir haben mit 4 Kriegsverletzten gearbeitet. Zwei aus Syrien und zwei aus dem Jemen.“
„Wie lange hast du mit dieser Organisation gearbeitet?“
„Es waren genau 11 Monate. Bis September 2015. Dann musste ich Jordanien endgültig verlassen, weil es mir eigentlich verboten war, dort zu arbeiten. Ich habe mich dann auf den Weg hierher gemacht.“
„Auf welchem Weg?“
„Ich bin von Jordanien in die Türkei und von dort mit dem Schlauchboot über das Meer nach Griechenland und habe Deutschland schließlich im Oktober 2015 erreicht, seitdem bin ich in Berlin.“
„Das heißt, du hast die Tortur am Lageso durchgemacht?“
„Ja genau.“, sagt er und lacht. „Wir gehörten zu denen, die am Lageso richtig gelitten haben, weil der Druck sehr hoch war und immer mehr Menschen in Berlin ankamen. Einmal musste ich eine Nacht dort schlafen. Dabei hatte ich noch Glück, dass es nur eine Nacht war. Andere haben eine ganze Woche am Lageso geschlafen.“
„Wie ist deine Situation jetzt? Hast du deinen Aufenthaltstitel mittlerweile erhalten?“
„Nein, im Moment habe ich Garnichts. Ich warte immer noch.“
„Warum das?“
„Weil sie meinen Pass verloren haben.“
„Wer hat deinen Pass verloren?“
„Das Bundesamt.“
„Und behaupten die jetzt, dass du ihn nicht abgegeben hast?“
„Nein das nicht. Es steht ja auf allen Unterlagen, dass ich ihn abgegeben habe.“
„Und wie geht es jetzt weiter?“
„Um ehrlich zu sein, suche ich jetzt nach einem Anwalt. Ich bin nun schon seit sieben Monaten hier und stehe immer noch am Nullpunkt.“
Das Projekt
„Kannst du mir etwas über dein Projekt erzählen? Das Projekt, dass du auf dieser Konferenz vorgestellt hast.“
„In dem Projekt geht es darum, Flüchtlingskinder und deutsche Kinder gemeinsam in dieser Technologie zu unterrichten, die ich gelernt habe und die mein Leben verändert hat. Es geht darum, die Zeit, die wir in den Camps rumhocken, zu nutzen um etwas Sinnvolles zu machen.“
„Um welche Technologie geht es genau?“
„Es geht um Arduino Programmierung und vielleicht machen wir dann auch 3D Druck und 3D Modellierung.“
„Ich habe gesehen, dass du einen kleinen Roboter dabei hast. Hast du den gebaut?“
„Den habe ich mit den Kindern zusammengesetzt. Wir haben den nicht gebaut. Wir haben die Teile bestellt, zusammengesetzt und programmiert.“
„Wo unterrichtest du das?“
„Ich unterrichte das im Camp.“
„Werdet ihr vom Staat oder von irgendwelchen Organisationen unterstützt?“
„Nein, einzig eine Organisation mit dem Namen Ready School hilft uns ein wenig. Diese Organisation bildet Flüchtlinge aus, die bereits in diesem Bereich Erfahrungen haben. Sie versuchen uns mit Kontakten zu unterstützen.“
„Was benötigst du um dieses Projekt voranzutreiben?“
„Was wir am meisten benötigen ist das Equipment. Das heißt wir benötigen Arduino Kits, Robot Kits, Werkzeuge und zusätzlich wären Räumlichkeiten hilfreich. Aber am wichtigsten ist das Equipment.“
„Sind diese Kits denn teuer?“
„Das Arduino Kit kostet ungefähr 89 € und ich benötige für jeden Schüler ein Kit.“
„Wieviel Schüler habt ihr denn?“
„Wir wollen diesen Sommer mit einer Pilotklasse mit 20 Schülern starten.“
„Geht es denn in deinem Projekt nur um das Unterrichten oder willst du mit dieser Technologie weitere Ziele erreichen?“
„Uns geht es darum, den Kindern die Grundlagen zu geben. Dann werden wir uns unterschiedlichen Problemen zuwenden, und jede Gruppe wird in einer Projektarbeit an der Lösung dieses Problems arbeiten. Zum Beispiel hatte ich einen blinden Freund, für den ich ein Gerät gebaut hatte, dass die Distanz zu Gegenständen und Wänden misst und abhängig von der Entfernung per Vibration Feedback gibt. Dieses Gerät soll dabei helfen sich besser zu orientieren. Mit den Kindern könnte man zum Beispiel daran arbeiten, ein solches Gerät nachzubauen und zu verbessern. Ich könnte das jetzt in kürzester Zeit selber machen, aber darum geht es mir nicht. Mir geht es darum, das Wissen spielerisch an die Kinder weiterzugeben, damit sie lernen, anderen das Leben einfacher zu machen. Wenn du die Kinder an solche Themen heranführst, dann weckst du in ihnen vielleicht ein Interesse dafür, dass sie später vertiefen oder auch mit anderen Fachbereichen verbinden. Die Robotik begegnet uns mittlerweile in allen möglichen Lebensbereichen: in der Medizin, in der Industrie, in der Landwirtschaft. In zehn Jahren wird es die vierte Industrierevolution geben, wo die Robotik und Automatisierung den großen Teil der Arbeitsplätze ausmachen werden.“
„Gibt es auch andere Ausbilder, die dich bei deinem Vorhaben unterstützen und die Kinder unterrichten werden?“
„Ja, ich möchte andere Flüchtlinge ausbilden, damit sie lernen, Kinder in dem Bereich zu unterrichten. Ich habe auch schon Deutsche kennengelernt, die sich gerne zu diesem Zweck ausbilden lassen wollen.“
„Wie arbeitet ihr im Moment?“
„Im Moment habe ich eine Gruppe von 12 Kindern, mit denen ich an zwei Arduino Kits arbeite.“
„Wer hat die beiden Kits finanziert?“
„Die Organisation, für die ich in Jordanien gearbeitet habe, hat mir die beiden Kits finanziert, obwohl die eigentlich selbst Finanzierung benötigen.“
„Ich danke dir für das Gespräch.“
Später
Asem Hasna gewann mit seinem Projekt Arduino & Programming for Refugees den zweiten Platz unter den Newcomern.
Während ich das Gespräch zuhause aufschrieb, googelte ich ein Wenig, um das eine oder andere zu überprüfen. Ich stieß dabei auf dieses Video von der Republica 2016 in dem mein Gesprächpartner von seiner Arbeit an Prothesen für Kriegsverletzte erzählt.
Wieder ein toller Bericht ! Eine sehr berührende Geschichte de jungen Mannes ! Sollte man an den UNHCR weiterleiten!!!!
Vielen Dank !
unbedingt!
Vielen Dank für den Beitrag. Immer wieder interessant von Projekten zu hören, die man sonst nicht wahrnehmen würde. Ich habe ein paar Fragen, vielleicht können Sie da weiter helfen.
Wie soll der gemeinsame Unterricht von deutschen Kindern und Flüchtlingskindern aussehen? Kann Asem Hasna schon genug deutsch, oder ist es als Co-Team geplant?
Auf der Zahnräder-Seite habe ich gelesen, daß mit den Platzierungen auch Geldpreise verbunden sind, wenn auch nicht hoch. Hat Asem mit dem Geld und der Unterstützung der Zahnräder die Chance die Finanzierung zu stemmen?
Die Geschichte ist auch sehr berührend. Ich bewundere den Überlebenswillen und das nach vorne Schauen.
Hallo Ulli,
Asem kann ein wenig Deutsch. er ist ja auch schon seit ein paar Monaten in Deutschland. Außerdem gibt es Helfer, die sein Vorhaben unterstützen und er spricht noch dazu sehr gut Englisch.
Ja mit dem zweiten Platz hat er auch einen Geldpreis gewonnen mit dem sein Projekt unterstützt werden soll. Er hatte 1000 € gewonnen. Wie genau er das einsetzen werde weiß ich nicht aber ich bin mir sicher, dass er ein Teil des Gelds in Arduino-Kits investieren wird. Auch wenn das Geld eine wertvolle Unterstützung ist, so wird er damit nicht alle entstehenden Kosten abdecken können.
Viele Grüße
Karim