Tag 38: Idomeni – Ankunft

Dienstag, der 19.04.2016

In der Früh verließ ich das Hotel und machte mich auf die Suche nach einer Bank, um ein paar 500 € Scheine, alles Spendengelder, zu wechseln. Dies wurde jedoch zum komplizierten Unterfangen, da niemand diese Scheine wollte. Sowohl in der Alpha Bank als auch in der Piraeus Bank hieß es zunächst, dass dies nur gegen eine Gebühr möglich wäre dann aber hieß es, dass dieser Service nur Kunden angeboten wird. Gewechselt hat mir das Geld dann schließlich die National Bank of Greece und zu meiner Überraschung, ganz ohne Gebühr.

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Kilkis

Nächste Station war Kilkis. Hier übergab ich mehrere Koffer voller Desinfektionsmittel, Binden, Handschuhe und ähnlichem Material, die der Verein Heimatstern e.V. zusammengestellt und mitgeschickt hat. Während sie die Koffer auspackte, erzählte die Verantwortliche des Lagers, dass sie Mehrausgaben von mindestens 95.000€ im Monat hätten. Besonders gefreut hat sie sich über einen Koffer voller Rettungsdecken.
Bevor ich das Krankenhaus verließ, bot eine Krankenschwester einen Rundgang an. Sie zeigte mir und anderen Helfern den pathologischen Untersuchungsraum, die Gynäkologie, den Kreißsaal, die Wochenbettstation und die Kinderstation. Jeder dieser Bereiche bestand aus einem oder zwei Räumen. Das Krankenhaus war klein und dennoch erschien es mir in einem relativ gutem Zustand.
Überall in den Gängen hielten sich Flüchtlinge auf. Eine Krankenschwester, die sehr gut Deutsch sprach, bat mich, für zwei junge Paare zu übersetzen.
Bei dem ersten Paar ist die Blutung seit anderthalb Monaten ausgeblieben. Sie baten um einen Schwangerschaftstest. Bei dem zweiten Paar war die Frau im vierten Monat schwanger und litt unter Schwindel und Übelkeit. Beide Paare kamen aus einem Camp in Khirso. Sie sagten, dass das Camp relativ gut ist und dass das Personal ihre Probleme ernst nehme.
Ich dolmetschte ebenso für eine Dame, die noch einen Urintest abgeben sollte. Sie kam aus einem Camp in Kavala und sagt, dass die Zustände dort katastrophal seien. Sie erzählte von Schlangen und schlechtem Essen.
Am Ende des Rundgangs kamen wir an einem Zimmer vorbei in dem kleine Kinder lagen. Ein Kind, es war so alt wie meine Tochter, lag dort in einem Pyjama, welcher von meiner Tochter hätte sein können, auf dem Gesicht eine Sauerstoffmaske und schlief. Der Anblick war unerträglich. Wir gingen weiter ohne dass wir erfuhren was mit ihr war.
Nachdem sich die Krankenschwester mehrmals bei allen Helfern bedankt hatte machte ich mich auf den Weg nach Idomeni.

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Idomeni

Zwei Sachen fielen mir sofort in Idomeni auf: Die große Anzahl an Kindern und der rege Handel, der sich dort entwickelt hat. Überall stehen Flüchtlinge und bieten Ware an. Einige verkaufen Zigaretten, andere Chips, Brot oder Öl. Andere verkaufen, gekühlte Getränke, Falafel oder gebratenes Fleisch.

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Ich lief mit anderen neuangekommenen Helfern durchs Camp und wir verschafften uns einen Überblick.
Überall waren Helfer unterwegs. Manche verteilten essen. Andere bereiteten Tee vor oder verteilten Gemüse. Ein Mann lief mit einer Säge zwischen den Zelten rum und half den Menschen ihre Behausung zu verbessern.

Mücken und Zecken

Später entschloss ich mit anderen Helfern Insektenschutzsprays, die mir zuvor gespendet wurden zu verteilen. Wir verteilten diese Sprays bei den sogenannten Border-People, die direkt am Zaun und in unmittelbarer Nähe eines Tümpels ihre Zelte aufgestellt haben. Die Menschen, geplagt von Mücken und Zecken, waren extrem dankbar und ich bereute es nicht mehr mitgenommen zu haben. (Danke an dieser Stelle an die Spenderin) Sehr gefreut haben sich Frauen auch über kleine Reisenähsets, die mir vom MTZ gespendet wurden.

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Das Komitee

Während ich ein paar Sprays verteilte kam ich ins Gespräch mit einem jungen Mann. Wir redeten eine Weile über Situation im Camp als er sagte: ¨Noch eine Woche dann ziehe ich weiter.¨
¨Wie meinst du das?, frage ich.
„Es geht hier nicht legal weiter, also werde ich Schlepper bezahlen¨
¨Über welche Wege geht das?¨
¨Mit dem Auto über Bulgarien oder über Mazedonien. Es gibt sogar Freunde, die sind zu Fuß über Mazedonien.¨
¨Aber da ist doch der Zaun¨ warf ich ein.
Er schaut mich an, als wär ich besonders naiv und sagt: ¨Mit einer Zange hast du den in wenigen Minuten durchgeschnitten. Freunde sind mehrere Tage durch die Mazedonischen Wälder gewandert.¨
¨Ich habe gehört, dass sie dort von Gruppen gejagt werden, stimmt das?¨
¨Vom Militär werden sie gejagt. Dann werden sie zurückgebracht. Oft werden sie geschlagen. Einem haben sie die Beine gebrochen.¨ Er grinst und zeigt mir eine Stelle auf seinem Kopf. ¨Schau mir haben sie hier auch auf den Kopf geschossen. Eigentlich hätte das genäht werden müssen aber ich habe es nicht machen lassen.¨
¨War das als es hier zu Tumulten an den Zäunen kam?¨
¨Ja genau¨
¨Wie kam es dazu? Die griechische Polizei behauptet ja, dass ihr durch Helfer aufgewiegelt wurdet. Stimmt das?¨.
Er schaut mich mit einem wissenden Blick an und sagt: ¨Schau her, ich sag dir was genau passiert ist. Unter uns sind gebildete Menschen. Wir sind Ärzte, Anwälte und Ingenieure. Wir haben ein Komitee gebildet, das für uns sprechen soll. Wir haben abgemacht zum Zaun zu gehen, um mit den Mazedioniern zu reden. Wir haben ihnen gesagt, dass wir ihr Land nur durchqueren wollen. Dass wir nach Europa wollen und garnicht in ihrem Land verweilen wollen. Anfangs war alles recht friedlich. Wir waren dort mit unseren Frauen und Kindern. Dann haben sie einfach so angefangen mit Tränengas auf uns zu schießen. Dann kam es vom einen zum Anderen und wie es immer ist, brannte bei einigen die Sicherung durch und die Lage eskalierte.¨
¨Und die Helfer?¨
¨Die haben garnichts damit zu tun. Das ist leeres Gerede¨

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Die Frauen

Während ich mich mit dem Mann unterhielt, stellte sich eine Frau zu uns. Irgendwann sagte sie mit zitternder Stimmer: ¨Entschuldige, dass ich eure Unterhaltung unterbreche, aber wer kümmert sich um unsere Probleme. Um uns Frauen? Unsere Männer sind losgezogen, um uns nachzuholen. Wir sind mit den Kindern zurückgeblieben. Dann dauerte alles so lange und der Krieg wurde schlimmer also zogen wir mit unseren Kindern los. Wir überquerten das Meer in einem Schlauchboot und dann kamen wir hierher. Und zu unserem Unglück sperrten sie die Grenzen. Jetzt sind wir hier gefangen.¨
¨Wie lang bist du schon hier in diesem Camp?¨
¨Seit zwei Monaten jetzt. Warum tun sie das? Ok, sie haben den Weg über das Meer gesperrt. Sollen sie es tun. Aber wenigsten sollen sie doch eine Lösung für uns finden. Wir sind doch keine Tiere. Mein Mann ist seit acht Monaten in Deutschland, aber er darf uns immer noch nicht nachholen.¨, während sie redet sammeln sich immer mehr Tränen in ihren Augen. Der Mann mit dem ich zuvor geredet hab schaut bedrückt auf den Boden.
¨Ich bin nicht alleine in dieser Situation. Sehr viele Frauen sind hier so. Wir sind hier mit unseren Kindern alleine gestrandet. Was sollen wir machen? Unsere Stimme muss auch gehört werden. Die Männer sind laut, aber uns hört niemand.¨

Kreißzelt

Ich verspreche ihr wieder zu kommen, dann werde ich von dem Mann zu einem anderen Zelt geführt in dem vor neun Tagen ein Baby geboren wurde. Der Vater bittet mich in das Zelt. Die Mutter war dabei das Neugeboren zu stillen.
¨Der Kleine wurde hier geboren?¨
¨Ja dort in diesem Zelt.¨, sagt er und zeigt auf ein kleines Igluzelt.
¨Warum haben sie euch nicht nach Kilkis ins Krankenhaus gebracht?¨
¨Sie sagten, dass kein Krankenwagen da war. Ein  Arzt kam zu uns, schaute sich das Baby an und sagte, dass alles ok ist.¨
Ich gab der Frau eine Wundschutzsalbe, ein paar Plastikpullen Kochsalzlösung und Heilwolle bevor ich mich verabschiedete.

Sonne

Ich ging mit anderen Helfern durch ein Feld. Vor uns lief eine Frau mit zwei kleinen Mädchen. Sie hatten gerade Linsensuppe und arabisches Brot von einer mobilen Essensausgabe abgeholt. Eins der Mädchen winkt uns zu und ruft ¨Hallo¨. Alle Kinder im Camp machen das, sie dursten danach mit den Helfern zu spielen. Ständig begrüßen einen die Kleinen. Eine Helferin fängt an mit dem Mädchen zu spielen. Ich komme mit der Mama ins Gespräch.
¨Woher kommt ihr?¨
¨Aus Aleppo. Eigentlich sind wir aus Afrin, aber dort gibt es nichts mehr.¨
¨Dann seid ihr Kurden?¨
¨Ja genau.¨
¨Wie lange seid ihr schon hier?¨
¨Seit zwei Monaten. Schau dir meine Töchter an. Sie sind schwarz geworden. Verbrannt durch die Sonne.¨ In er Tat sind die meisten Kinder im Camp braun gebrannt, gibt es doch kaum Schattenplätze. Bei vielen ist die Haut an den Wangen trocken und rau.

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Eko Station

Abends sitze ich im Parkhotel, Treffpunkt der Volunteers und trinke eine Pepsi, als eine Gruppe Helfer sich aufmachen, um zu einem anderen nahegelegenem Camp machen. Das Camp EKO Station ist eine Tankstelle, auf dessen Gelände hunderte Zelte stehen mit ca. 2000 Flüchtlingen. Die Zelte stehen zum Teil bis dicht an den Zapfsäulen. An dem Abend sollen Kochtöpfe an die Menschen verteilt werden.

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Das kaputte Kind

Gleich bei unserer Ankunft kommt ein Junge auf mich zu. Er wirkt erwachsen, abgebrüht, wenn er redet scheint er ohne Gefühle zu reden und doch ist er gerade mal elf Jahre alt.
¨Wo kommst du her?¨
¨Aus Syrien, aus Maarat Ennoman in der nähe von Idlib.¨
¨Ich kenne jemanden der aus Idlib kommt.¨ sage ich.
Gleichgültig fügt er hinzu ¨Dort haben sie heute bombardiert. 40 Menschen sind dabei gestorben. Unter ihnen zwei meiner Cousins.¨
¨Wer hat sie bombardiert?¨
¨Die Russen¨
¨Bist du mit deinen Eltern hier? Deiner Mutter und deinem Vater?¨
¨Ja mit meiner Mutter. Mein Vater der ist schon lange tot. Schon seit vier Jahren¨
¨Was ist mit ihm passiert.¨
¨Das Regime hat ihn getötet.¨, sagt er und wirkt immer noch gleichgültig.
Dann verabschiedet er sich und ruft mir während er weglief zu: ¨wir sehen uns später.¨

Die kaputte Familie

Ich lief mit anderem Helfern im Kamp rum. Immer wieder kamen kleine Kinder zu uns und wollten spielen. Es war fast 22 Uhr. Ein kleines Mädchen spielte mit einer Helferin und brachte uns zu ihrem Zelt. Dort stand der Vater, ein kleiner, sehr freundlicher Mann, vor dem Zelteingang. Er ist Kurde und spricht kein arabisch. Aber wir verständigen uns durch Pantomime und einigen Wörtern arabisch und englisch.
Er erzählt, dass seine Frau wegen psychischen Problemen im Thessaloniki im Krankenhaus ist. Sie sah dabei zu, wie ihr 10 jähriges Kind durch eine Granate getötet wurde. Er sitzt nun alleine mit 6 Kindern in einem kleinem Zelt. Eine Helferin erzählt später, dass eins seiner Kinder manchmal mitten im Spiel in eine Art Starre verfällt.

Schlangen

Die Verteilung der Töpfe hat begonnen. Ein junger Mann hat einen glänzenden Topf in der Hand und hält ihn in die Höhe. Umgeben von mehreren jungen Männern feiert er ihn als hielte er einen Pokal in der Hand.

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Ich gehe an zwei Schlangen vorbei, in der einen standen Frauen, in der anderen Männer. Die Menschen standen vor vor zwei LKWs, die dicht nebeneinander geparkt waren, so dass zwischen beiden nur ein schmaler Durchgang blieb. Abwechselnd wurde einer von jeder Schlange durch den Durchgang gelassen, wobei ihnen dann ein Kochtopf überreicht wurde.

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Am Rande des Camps sah ich ein Lagefeuer, dass vor einem Zelt loderte. Ich ging hin und machte ein Bild mit meinem Handy. Ein junger Mann, der vor dem Feuer saß kam zu mir und wir unterhielten uns ein bisschen. Kurz darauf kam eine Frau zu uns. Sie war um die 40. Sie sagt: ¨Es ist schlimm hier. Wie lange sollen wir hier bleiben? Wir können nicht zurück. Unser Land ist zerstört. Hier sind überall Schlangen. Heute haben sie drei Schlangen vor unserem Zelt gefunden. Ich saß im Zelt als mein Sohn auf einmal rief: ¨Mama komm raus. Alle raus aus den Zelten.¨ Als ich das hörte, weckte das böse Erinnerungen in mir. Ich dachte, dass Flugzeuge kamen, um uns zu bombardieren…¨. Sie schluckte und in ihren Augen waren Tränen. Sie schwieg da sie sonst wahrscheinlich anfangen würde zu weinen. Dann sagte sie: ¨Aber es waren nur Schlangen.¨

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Die Schlepper

Drei Männer kamen dazu und fragten mich, ob ich denke, dass die Grenze geöffnet wird.
¨Ehrlich gesagt, glaube ich es nicht.¨
¨Was ist wenn wir Deutschland auf illegalen Weg erreichen, würden die uns zurück nach Griechenland schicken?¨
¨Wenn ihr nirgends registriert seid, dann glaube ich nicht. Aber ich kann es euch nicht genau sagen. Wie wollt ihr denn auf illegalen Weg nach Deutschland?¨
¨Es gibt mehrere Möglichkeiten. Du bezahlt Schlepper, die dich dann mit dem Auto fahren.¨
¨Wieviel kostet das?¨
¨Manche nehmen 1600€ manche bis zu 2500€ pro Person. Aber mit Kindern ist das schwierig. Alleinstehende Männer haben es da einfacher. Manche fliegen auch einfach mit dem Flugzeug¨
¨Wie ist das möglich?¨
¨Sie fliegen mit gefälschten Pässen oder Pässen von Verwandten, die ihnen ähnlich sehen.¨

Die Mutter

Es ist spät. Ich will mich auf den Weg nach Hause machen, sehe aber, wie zwei Helferinnen sich mit zwei älteren Syrerinnen, umringt von mehreren Kindern, unterhalten. Unter den Kindern ist auch der Junge, der mir durch seine teilnahmslose Art aufgefallen ist. Eine der älteren Frauen ist seine Mutter. Sie sagt: ¨Mein Mann ist im Krieg gefallen. Getötet durch die Flieger des Regimes. Ich habe Haus und Land verkauft und bin mit meinem sieben Kindern losgezogen. Jetzt sind wir hier gefangen.¨

3 Gedanken zu „Tag 38: Idomeni – Ankunft“

  1. Wieder spannend und beeindruckend zu lesen ! Du berichtest so eindringlich dass ich das Gefühl habe ich wäre dabei und i h könnte den Rauch des Lagerfeuers riechen ! Es ist traurig wie mit diesen Menschen umgegangen wird , es sind doch Kriegsflüchtlinge !!! Wo ist da die Genfer Konvention??? 🙁

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