Tag 28: ZOB

Mittwoch, der 06.01.2016.

An diesem Tag war ich von 22 Uhr bis Mitternacht am ZOB. Es war ein ruhiger Abend. Bei meiner Ankunft waren eine Gruppe Syrer und ein paar Afghanen im Wärmeraum. Ich habe daher lediglich von zwei kurzen Begegnungen zu berichten.

Begegnung 1

Als ich die Türe des Warteraums öffne, steht eine ältere Dame gleich neben der Tür und schaut auf ihr Handy, welches am Ladegerät hängt. Ich gehe zu ihr und grüße sie: „Friede mit euch Hadjah (respektvoller Titel, mit dem man ältere Frauen anspricht)! Wie geht es dir?“

„Gott sei Dank mein Sohn, Allah gebe dir Gesundheit.“

„Bist du mit deiner Familie unterwegs?“

„Ja, das sind meine Neffen und dort sitzt mein Mann.“, sagt sie und deutet auf einen alten Mann, der auf einer Bierbank sitzt und sich mit den Ellbogen auf den davorstehenden Tisch abstützt. Er sitzt da und döst vor sich hin. Sein Kopf ist durch ein Tuch bedeckt, das er zu einem Dreieck gefaltet hat, so wie es oft –meist ältere – arabische Männer im nahen Osten tragen.

Ich betrachte ihn. Er erscheint mir gebrechlich und müde.

„Ist er krank?“, frage ich.

„Nein, er ist nur taub und blind. Zumindest fast. Er ist alt.“, sagt die alte Dame.

„Wie lange wart ihr unterwegs?“

„Wir haben drei Jahre in der Türkei gelebt. Dann haben wir uns entschieden, herzukommen. Meine Tochter ist seit ein paar Monaten hier und lebt in Bonn. Sie ist schwanger und krank. Sie braucht meine Hilfe.“

„Warum seid ihr dann so lange in der Türkei geblieben?“

„Wir hatten kein Geld für die Weiterfahrt. Das musste ich erst organisieren. Es hat viel Zeit in Anspruch genommen.“

„Wie war eure Überfahrt?“

„Es war schrecklich.“, antwortet sie und schüttelt dabei den Kopf. „Das erste Boot ist mitten auf dem Weg kaputt gegangen.“

„Fing es an zu sinken?“

„Nein. Der Motor blieb stehen und wir trieben einfach nur auf dem Wasser.“

„Und dann?“

„Die türkische Küstenwache hat uns wieder zurück in die Türkei gebracht. Von dort haben wir ein zweites Boot genommen.“

„Musstet ihr die Überfahrt also zwei Mal bezahlen?“

„Nein, das geht auf Kosten des Schleppers. Er garantiert dir die Ankunft auf der anderen Seite.“

In diesem Moment offenbart sich mir eine makabre Erkenntnis: Es ist für den Schlepper günstiger, wenn ein Schiff sinkt, als wenn der Motor einfach nur den Geist aufgibt.

„War das Meer ruhig?“

„Ja wir hatten Glück. An dem Tag war es sehr ruhig, doch es wurde ein paar Stunden nach unserer Ankunft in Griechenland sehr stürmisch.“

Begegnung 2

Während ich mit der alten Dame spreche, steht ihr Neffe, ein etwa 30 jähriger junger Mann, neben uns. Später frage ich ihn, wann sein Bus kommt.

„Mach dir keine Sorgen, ich habe das im Griff. Ich verpasse nie einen Bus.“

„Ich frage nur, weil letztens ein junger Syrer seinen Bus verpasst hat.“

„Das passiert mir nicht. Ich habe alles hier drin.“, sagt er und deutet mit dem Zeigefinger auf seinen Kopf. „Ich bin Buchhalter. “ Dann fragt er: „Ist es möglich, dass mir jemand Geld herschickt?“

„Das geht nur über Western Union, aber dafür brauchst du einen Pass.“

„Ich habe meinen Pass.“

„Haben sie euch die Pässe an der Grenze bei der Registrierung nicht abgenommen?“

„Sie haben uns zwar durchsucht, aber ich habe die Pässe vorher in eine Tüte gewickelt und vor dem Durchsuchungsbereich fallen gelassen. Nach der Durchsuchung bin ich den gleichen Weg zurückgegangen und habe die Tüte wieder aufgehoben. Ich will erst sehen, wie die Situation in Deutschland ist. Wenn es hier nicht gut ist, dann bleibt mir immer noch die Möglichkeit, weiter zu ziehen.“

 

 

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