Tag 52: Neues von Samir – Hoffnung und Hürden

Ich kenne Samir nun seit über einem Jahr und habe seine Geschichte und seinen Weg in mehreren Artikeln festgehalten. Im März 2017 erhielt er endlich seinen Bescheid, in dem ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Alle Beteiligten, Helfer und Samir selbst waren sehr erleichtert. Vor allem, da es nun möglich war, einen Antrag zu stellen um seine Frau und die beiden Kinder aus der Türkei nachzuholen. Doch es sollte nichts so einfach sein, wie es eigentlich schien.

(Die ganze Geschichte von Samir kann man hier nachlesen)

Familiennachzug

Eine Voraussetzung für einen Familiennachzug ist jedoch, dass die betroffenen Angehörigen auch einen Pass besitzen. Einen Pass zu besorgen ist jedoch für flüchtige Syrer, die außerhalb Syriens auf der Flucht sind, kein einfaches Unterfangen und vor allem ein sehr kostspieliges. Der syrische Pass ist weltweit der teuerste Pass. Bis zu 800 Euro muss man für einen Pass aufbringen, für Frau und zwei Kinder sind das 2400 Euro.

Nach vielem Hin und Her erklärte sich Samirs Onkel, der in Damaskus lebt, bereit, die Pässe zu beantragen. In Damaskus würden die drei Pässe um die 1500 Euro kosten. Vorher mussten wir ihm jedoch das Familienbuch schicken. Nachdem Samir mir sagte, dass es bei der BAMF lag, und ich mehrere Telefonate führte um herauszufinden, wie wir es zurückerhalten konnten, stellte sich heraus, dass er es doch in seinen Unterlagen gefunden hatte.

Wir schickten das Familienbuch mit DHL und mulmigem Gefühl nach Damaskus zu seinem Onkel. Uns war natürlich bewusst, dass es lange dauern würde bis es ankommt, doch nach zwei Monaten verloren wir die Hoffnung, dass es jemals ankommen würde. Also planten wir zunächst ein neues Familienbuch zu beantragen, dies stellte sich dann als unnötig heraus und es reichte, den in der Türkei geborenen Sohn nach Zahlung einer Strafe in das staatliche Geburtenregister einzutragen. Dann vor zwei Wochen erhielt Samir einen Umschlag mit dem Familienbuch darin. Es wurde aus Damaskus zurückgeschickt, weil der Empfänger angeblich nicht auffindbar war.

Verwaltungsdschungel

In der Zwischenzeit mussten wir uns um ein anderes Problem kümmern. Nachdem Samir nämlich anerkannt wurde, fiel er aus der Zuständigkeit des Landratsamts Erding. Hier der Bericht von Heidi, die sich primär um dieses Problem gekümmert hat:

***

Laut der Aussage mehrerer Mitarbeiter im Landratsamt Erding ist das LRA nicht mehr für Samirs Finanzierung zuständig. Mit der Begründung – er ist kein Asylbewerber mehr, sondern anerkannter Flüchtling. Somit wäre eigentlich das Jobcenter zuständig. Da Samir aber nicht erwerbstätig sein kann, würde das Sozialamt des Landkreises aufkommen müssen. Da Samir aber mit Sicherheit mehr als Pflegestufe 1 hat, fällt er auch da raus. In diesem Falle muss der Bezirk Obb. zahlen.  Dort habe ich auch einen Antrag auf Gewährung der Sozialhilfe nach SGB IIX gestellt.

Bis dieser Antrag aber bewilligt wird muss jemand für Samirs Versorgung aufkommen… um herauszufinden wer das ist war ich beim Sozialamt der Stadt Erding – die haben mich an das Sozialamt im LRA verwiesen. Zu einer Sachbearbeiterin… die Dame war im Urlaub. Eine Kollegin hat sich sehr nett und geduldig meine Ausführungen angehört. Versicherte mir dann wieder, dass sie nicht mehr zuständig sind und ich mich an den Bezirk Obb. wenden soll. Sie könnten nichts machen. Die Nummer von einem Herrn dort bekam ich noch von Ihr.

Ein Anruf bei dieser Nummer blieb erfolglos, da dieser auch in Urlaub war.

Da ich eine Nachricht auf dem AB hinterlassen habe wurde ich nach Ostern von einer Vertretung zurückgerufen. Dieser Herr- sehr freundlich wusste leider gar nicht Bescheid. Hat mich aber mit einer anderen Dame verbunden.

Diese meinte, dass der Antrag geprüft wird, man allerdings erst eine Beurteilung von Samirs Pflegegrad dazu benötigt. Diesen sollten wir sobald wir ihn wissen an sie weitergeben.

Die Einstufung des Pflegegrades wurde laut Leitung des Pichlmayr vom Landratsamt Erding im März beantragt. Es ist derzeit mit einer Wartezeit von ca. 3 Monate zu rechnen.

Aber auch die Bearbeitung beim Bezirk dauert laut Sachbearbeiterin ca. 3 Monate. Es gibt nach ihrer Aussage auch keine Möglichkeit der Beschleunigung.

Man sagte mir aber der Landratsamt Erding wäre verpflichtet, da Samir schon seit mehr als einem Jahr vom Landratsamt versorgt wird, das auch weiter zu tun. Sie müssten einen Antrag für Samir auf medizinische Grundversorgung stellen. Da Samir ja im Moment noch nicht Krankenversichert sein kann.

Ich habe versucht jemanden zu erreichen, um dort nachzufragen- bis heute Morgen nicht erfolgreich!

Ich versuche es gleich Montag früh nochmal.

Die Dame vom Bezirk meinte, es ist auch völlig widersinnig, dass das Landratsamt zwar die Unterbringung im Heim bezahlt, aber nicht die medizinische Versorgung. Entweder beides, oder sie weigern sich komplett.

***

 

Dies zog sich über mehrere Monate hin und ist auch nur ein Teil des Berichts. Heidi, die ursprünglich Samir nur Deutsch unterrichten wollte, fand sich in einem nicht enden wollenden Verwaltungsdschungel. Sie war zusehends verzweifelt von dem Hin und Her, bis sie in Erfahrung gebracht hat, dass es möglich ist, einen vom Gericht bestellten Betreuer für Samir zu beantragen. Auch wenn dies natürlich wieder ein paar Wochen dauern würde, so hofften wir, dass es eine Erleichterung darstellen würde.

Das Geld

Ein weiteres Problem war in dieser Zeit das Geld. Da die Frage der Zuständigkeit nicht geklärt war, erhielt Samir auch kein Geld mehr vom Amt. Wir mussten ihn immer wieder mit Lebensmitteln, Internet Karten und Geld für kleinere Anschaffungen unterstützen. Genauso sah es mit der medizinischen Grundversorgung aus. Auch hier wurde nur noch das nötigste unter Voraussetzung vorheriger Genehmigung und jeweils für wenige Tage vom LRA übernommen. Ständig fehlte Verbandsmaterial für seine Dekubitus und mussten umständlich nachbestellt werden. Dies führte dazu, dass die ohnehin bereits sehr schlechte Versorgung im Pichlmayr Altenheim in Erding noch schlimmer wurde und der Zustand seiner Wunden „Katastrophal“ (Zitat) wurde. Im Juli war er dann endlich krankenversichert und erhielt endlich wieder seine 100 € Taschengeld, diesmal sogar rückwirkend ab Mai.

Krankenhaus

Mein Geschäftspartner, auch Deutsch-Tunesier, organisierte diesmal einen Termin im Klinikum Großhadern in der Hoffnung, dass seine Dekubitus-Wunden dort stationär behandelt werden können. Nach diesem ersten Termin begleitete ich Samir am 8. August zu einem zweiten Termin, an dem auch der Oberarzt anwesend sein würde. Die Krankenschwestern konnten sich noch sehr gut an Samir erinnern. Sie erwähnten den Katastrophalen Zustand seines Verbands beim letzten Termin und beschrieben mir den grässlichen Geruch der davon ausging. Meine Ausführungen über die katastrophalen Pflegezustände im Pichelmayr Altenheim in Erding hörten sie konsterniert zu.

Ich ging relativ optimistisch in den Termin, und doch wollte ich Samir meinen Optimismus nicht zeigen, um seine Erwartungen vorsichtshalber runterzuschrauben. Der Oberarzt wirkte sehr zurückhaltend, ja fast schon defensiv. Er sagte uns auch sehr schnell, dass in Großhadern keine Kapazitäten frei wären. Mein Optimismus verflog daraufhin sehr schnell und Verzweiflung machte sich in mir breit. Ich fragte, was uns denn noch für Optionen blieben würden und schilderte auch ihm die Zustände im Altenheim. Doch der Oberarzt schien keine Lösung für uns Parat zu haben und verschwand kurz darauf, weil er einen anderen Arzt bei einer OP unterstützen musste. Bevor er ging bat er uns nur noch auf einen anderen Arzt zu warten. Also warteten wir. Über eine Stunde saßen wir alleine in dem Zimmer und überlegten, was wir noch tun konnten. Dann kam der angekündigte zweite Arzt in den Raum und sagte: „So wir haben nun die Aufnahme in der Innenstadt organisiert. Er wird dort operiert und gepflegt.“

Die unerwartete Ankündigung machte mich sprachlos und es vergingen ein paar Sekunden bis ich die Worte verstand und ein Stein mir vom Herzen fiel. Ich war den Tränen nahe und hätte den Arzt am liebsten umarmt.

Wie lange die Behandlung dauern wird, kann niemand sagen, aber weniger als sechs Wochen werden es wohl kaum werden.

Unsere Hoffnung ist nun, dass Samir nach der OP nicht mehr in das Altenheim zurück muss, sondern in eine andere Unterkunft kommt. Bei der Pfennigparade in München wird sein Fall bereits geprüft und eine grundsätzliche Bereitschaft ihn aufzunehmen wurde angedeutet.

Mobilität

Außerdem hat sich Samirs Physiotherapeut Ralf, der sich seit einigen Monaten mit viel Hingabe um Samir kümmert, nach einem elektrischen Rollstuhl umgeschaut. Da ein entsprechender Antrag bei der Krankenkasse zu sehr langen Wartezeiten führen und wahrscheinlich dann noch abgelehnt würde, wollte er einen solchen gebraucht kaufen, damit Samir den Rest des Sommers ein wenig unabhängiger sein kann. Heidi und Ralf kauften dann vor einigen Tagen einen gebrauchten Elektro-Rollstuhl in einem guten Zustand und legten den Preis, insgesamt 850 €, aus eigener Tasche aus. Ich habe versprochen zu helfen und zumindest einen Teil der Summe zu sammeln.

Am Abend als er den Rollstuhl erhielt, schickte Samir mir ein Video seiner ersten Fahrt und erzählte mir, dass er den ganzen Tag in Erding umherfuhr und spät in der Nacht sogar den Pflegern half.

Samirs Weg in die Alpen

6 Gedanken zu „Tag 52: Neues von Samir – Hoffnung und Hürden“

    • Hallo Annegret, wenn man die betroffenen persönlich kennen lernt, dann entsteht ein Gefühl für sie verantwortlich zu sein und es fällt einem nicht mehr leicht das Leid in dem sie stecken zu verdrängen. Zu Glück sind es mittlerweile viele, die sich für Samirs Schicksal interessieren und ihn unterstützen.
      Grüße
      Karim

      Antworten
  1. Ich lese den Blog regelmäßig aus dem Ausland mit. Aufgrund der Entfernung kann ich leider meist nicht wirklich viel tun. Aber in diesem Fall, wenn es z.B. ein GoFundMe für den Rollstuhl gäbe, würde ich gern wenigstens ein bisschen was dazugeben…
    Grundsätzlich CHAPEAU für dieses Projekt!!!

    Antworten
    • Hallo Daniela, es freut mich, dass du hier regelmäßig reinschaust und vielen für dein Angebot dich an den Kosten für den Rollstuhl zu beteiligen. Im Moment hoffe ich, dass ein großer Teil der Kosten über ein Schülerprojekt zusammengekommen ist. Das wird aber gerade noch geklärt. Sollte immer noch bedarf bestehen, werde ich das hier und über Facebook noch mal separat ansprechen.
      viele Grüße
      Karim

      Antworten

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.