Tag 8: ZOB

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Sonntag, der 27.09.2015

Ich war gestern Abend von 20 Uhr bis 0 Uhr als Helfer und arabischer Dolmetscher am ZOB. Es war ein relativ ruhiger Abend. Deshalb kam es nur zu einigen kurzen Begegnungen. Zudem waren viele Afghanen unterwegs, mit denen ich mich – aufgrund der Sprache – nicht unterhalten konnte.

Begegnung 1

Bei meiner Ankunft sitzt ein junger, minderjähriger Afghane bei den Helfern. Er soll am nächsten Tag um 7 Uhr morgens einen Zug nach Zürich nehmen. Verwandte möchten ihn dann von dort abholen. Zuerst hat er versucht, mit einem Bus nach Zürich zu kommen. Aufgrund von fehlenden Papieren war das jedoch nicht möglich, da dies vom Fahrer abgelehnt wurde. Zufälligerweise bemerkten wir, dass eine Menschenmenge auf einen Bus nach Zürich wartete. Wir fragten eine Gruppe junger Frauen, die gerade vom Oktoberfest kamen, ob sie den jungen Mann mitnehmen können. Wir hatten nämlich die Information, dass Minderjährige mit Begleitperson ohne Ausweis akzeptiert werden. Um dem Afghanen den neuen Plan erklären zu können, organisierten wir per Telefon einen Dolmetscher der Farsi sprach, da vor Ort niemand diese Sprache beherrschte. Diesmal gab es keine Probleme und der Afghane konnte in den Bus einsteigen. Kurz vor der Abfahrt bat ich die junge Frau, mir bei ihrer Ankunft Bescheid zu geben, ob er Zürich erreicht hatte.

Begegnung 2

Mit einem anderen tunesischen Helfer begebe ich mich auf die Suche nach Flüchtlingen, um ihnen Essen oder Getränke anzubieten. Wir treffen auf 2 Junge Syrer aus Halab. Sie wollen nach Holland. Jedoch wäre der nächste Platz in einem Bus erst in 2 Tagen frei. Der eine ist seit zwei Wochen unterwegs, der andere seit 45 Tagen. Wir reden lange über den schnellsten und besten Weg, um nach Holland zu kommen. Irgendwann fragt mich einer der beiden:
  • „Seid ihr von einer Hilfsorganisation?“
  • „Nein, wir sind freiwillige Helfer.“
  • „Ich dachte nur wegen dem Oberteil (wir trugen ein grünes Fussballleibchen über die Jacken).“
  • „Das tragen wir nur, um erkannt zu werden. Sieht schrecklich aus. Ich weiß.“
  • „Nein, es ist in Ordnung. Heute haben wir verrückteres gesehen.“
  • „Wie meinst du das?“
  • „Na, die haben hier doch irgendein Fest.“
  • „Ah, das Oktoberfest?“
  • „Ja, ich glaube das. Da laufen viele komische Leute rum.“
  • „Ja, du wirst in Deutschland noch seltsames sehen.“
  • „Ohja, wir haben jetzt schon viel wundersames gesehen!“Später kommen die zwei zu dem Helferstand und fragen nach, ob sie helfen können. Der eine sagt:
  • „Ihr habt uns mit dem Bus geholfen. Deshalb würde ich mich gerne revanchieren.
  • „Kommt erst mal gut an. Dann helft euren Leuten, hier ist nicht mehr viel zu tun. Wir gehen auch bald.“
  • „Die Menschen haben uns sehr viel geholfen. Sie sind sogar nach Ungarn gekommen, um uns zu helfen. Sogar Touristen auf der griechischen Insel haben geholfen. Aber weißt du… ich schäme mich manchmal. Nicht weil ich ein Flüchtling bin, sondern für das Verhalten von anderen Flüchtlingen.“
  • „Wie meinst du das?“
  • „Manche verhalten sich schlecht und werfen nicht einmal ihren Müll weg.“
  • „Schau dir die Besucher des Oktoberfests an. Die machen noch mehr Dreck.“
  • „Die sind aber im Rausch und wissen nicht, was sie tun. Wir sind bei Verstand. Wir müssen uns benehmen.“

Begegnung 3

Drei syrische junge Männer warten auf ihren Bus. Der eine ist Techniker für Klimaanalagen, der andere Automechaniker und der dritte ist Bodybildertrainer. Ihre Schuhe sind in einem schlechten Zustand. Deshalb organisieren wir für die drei neue Schuhe. Einer der drei kommt auf mich zu, nimmt mich zur Seite und sagt:

  • „Ich möchte mich an den Kosten für die Schuhe beteiligen.“
  • „Aber die Schuhe wurden gespendet.“
  • „Ich bin nicht als Bettler hergekommen. Ich mag das Gefühl nicht. (sagte er mit bitterer Stimme).“
  • „Hör zu, Bruder. Das alles hier wurde gespendet. Schau erst mal, dass du ankommst und dich in diesem Land zurechtfindest. Wenn du dann helfen willst, dann hilft denen, die nach dir kommen.“
  • „Gott bewahre dich Bruder, danke! Sag den anderen bitte: ‚Danke vielmals, Thank you. Thank you‘.“
 

Später

Um Mitternacht gehe ich nach Hause. Ich schreibe noch an einem Artikel und gehe schließlich um 3 Uhr in der Früh ins Bett. Als ich meine Augen schließe, vibriert mein Handy. Ich schaue nach und sehe, dass ich eine SMS erhalten habe. Ich bekam folgende Nachricht: „Der junge Mann ist gut in Zürich angekommen.“

 

8 Gedanken zu „Tag 8: ZOB“

  1. deine Berichte lassen einem immer das Herz aufgehen ich lese so gerne von dir !! Vielen vielen Dank du bist großartig mache weiter so du hast das Herz am rechten Fleck . Maşallah

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    • Großartig sind all die Leute, die selbstlos Helfen ohne immer die Hintergründe zu verstehen. Ich habe Respekt vor all den anderen Helfern und bin nur ein kleines Rad in einem großem großartigem Werk.

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  2. „Lieber Bruder“,

    wie Dich die Flüchtlinge gerne nennen, hab 1000 Dank für Deine Zeilen, die genau das wiedergeben, was viele Helfer draußen wahrnehmen, mit Händen und Füßen mitgeteilt bekommen und nicht so gut weitergeben können, weil ihnen die Sicherheit der sprachlichen Hintergründe fehlt!

    Sei weiter vor Ort, wann immer Du kannst, notiere und berichte – aber passe auch auf Dich auf! Sorge für ausreichend Pausen, ein anderes Programm und, ja, auch Leichtigkeit in diesen schweren Zeiten!

    Gruß aus Berlin,
    Caroline
    („Schwester“ beim Dolmetschen für Flüchtlinge aus dem Französischen, z.B. in der psychologischen Krisenintervention)

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  3. Lieber Karim,

    vielen Dank für Deine Gedanken und Berichte. Ich lese sie immer sehr gern, da sie viel von dem weiter geben, was ich auch in manchen Begegnungen empfinde und das Menschliche zwischen uns allen im Mittelpunkt steht.
    Du machst das toll, aber pass auch auf Dich und Deine Pausen auf-

    Herzliche Grüße
    Ulrike

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