Tag 2: Messestadt

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Freitag, der 11.09.2015

Ich war gestern wieder in dem Flüchtlingsauffanglager in Messestadt von 22 Uhr bis 7 Uhr unterwegs und konnte einige Gespräche führen. Ich habe mir diesmal nach jedem Gespräch stichpunktartig ein paar Notizen gemacht und werde deshalb eher die einzelnen Gespräche wiedergeben.

Gespräch 1

Ich traf ein Paar wieder, das ich bereits am ersten Tag kennengelernt hatte. Beide so zwischen 30 und 40 Jahren. Sie wollten ursprünglich nach Schweden, haben sich aber dann doch entschieden, nach Schleswig Holstein zu gehen. Sie wollten in eine Stadt, in der wenige Flüchtlinge sind, da sie hoffen, dass dort ihr Asylantrag schneller akzeptiert wird. Beide hatten Marketing-Diplome und waren im Management tätig, bevor sie aus Idlib in Syrien geflüchtet sind. Die Diplome hatten sie dabei. Sie hoffen, vielleicht irgendwann in Hamburg arbeiten zu können. Die beiden sind mit 3 kleinen Kindern unterwegs. Die Frau führte das Gespräch, sie trug ein Kopftuch. Ihr Mann war ebenfalls dabei und war sehr zuvorkommend. Er hat sich während dem Gespräch um die Kinder gekümmert.

Gespräch 2

Ein Mann um die 50 Jahre suchte nach dem Gebetsraum. Ich zeigte ihm den Weg. Er kommt aus Syrien, Rif Dimaschq. Er erzählte mir, dass er seit 2 Jahren Flüchtling ist und davon die längste Zeit in Jordanien war. Ich fragte ihn, warum er Jordanien verlassen hat. Daraufhin sagte er, dass sie dort nicht arbeiten durften und keine Hilfe bekamen. Er sagte, es war in Ordnung, wenn man Drogen konsumiert hat. Wenn man jedoch Arbeit hatte oder gebetet hat, dann kam man ins Gefängnis.

Gespräch 3

Ein Iraker (ca. 45 Jahre alt) teilte mir mit, dass er gerne nach Finnland möchte. Er bat mich, ihm den Weg zu weisen. Jedoch hatte er sehr große Angst vor Dänemark. Ein wenig später kam er wieder zu mir und sagte, er will nach Holland, um sich zu erholen. Er behauptete, er möchte in Holland am liebsten nach Düsseldorf oder Köln. Als ich ihm sagte, dass diese Städte gar nicht in Holland liegen, war er sehr überrascht. Daraufhin fragte er mich, ob Deutschland überhaupt Irakern Asyl gewehrt. Er hat im Irak für eine amerikanische Firma gearbeitet und wurde mit dem Tode bedroht.

Gespräch 4

Ein Mann, um die 30 Jahre alt, kam zu mir. Er hielt sein schlafendes, einjähriges Kind auf dem Arm und wollte wissen, welche Stadt in Deutschland am besten für ihn wäre. Er kommt aus Halab und ist seit 30 Tagen unterwegs. Er fragte mich, woher ich komme. Ich sagte ihm, dass ich Deutsch-Tunesier bin. Er sagte:

„Oh ein Tunesier! In meinen Augen und über meinem Kopf (dies ist im nahen Osten ein Ausdruck von Respekt und des Willkommenheißens). Bei uns sind viele Tunesier, Algerier und Marokkaner

„Du meinst beim IS?“

„Ja.“

„Sind sie schlimm?“

„Ja sehr schlimm…“

„Das tut mir leid. Sie repräsentieren nicht das tunesische Volk. Ich schäme mich für Ihre Taten.“

„Ja Ich weiß. Es gibt überall Gut und Böse. Auch unter ihnen (er meinte beim IS) gab es Tunesier, die gut und gerecht waren. Man hätte Sie für Omar Ibnu Alkhattab halten können (Omar Ibnu Alkhattab war der zweite Khalif des Propheten und war für seine Gerechtigkeit bekannt).“

„Bist du vor dem IS geflüchtet?“

„Nein, vor Assad. Ich hatte Ländereien und sogar 20 Pferde, die jeweils eine Million Dollar wert waren. Es ist alles weg. Alles zerstört.“
Mittlerweile lief sein Sohn um uns herum. Der Mann schaute auf seinen Sohn und sagte: „Ich bin seinetwegen geflüchtet. Ich hätte mein Land niemals verlassen. Aber er ist noch so jung. Was bleibt ihm dort außer Zerstörung und Tod?“
Er dankte mir und entschuldigte sich, mich so lange aufgehalten zu haben.

Gespräch 5

Drei junge Männer, zwei 20-jährige und ein 30-jähriger wurden bei den Sanitätern behandelt. Ich übersetzte. Die zwei jüngeren Männer schleppten seit 15 Tagen eine hässliche Wunde mit sich herum. Einer der beiden flehte darum, dass seine Wunde nur gesäubert wird. Er wollte keine Spritze haben. Die Sanitäter sagten jedoch, beide Wunden müssten operiert werden, damit diese gereinigt werden können. Er hat Angst und will eigentlich nicht, stimmt jedoch letztendlich zu. Er sagt:

„Werde ich Schmerzen haben?“

„Du hast doch jetzt auch Schmerzen. Danach wird es besser. Aber erstmal wirst du schon Schmerzen haben.“

„Ich hasse Schmerzen. Ich habe Angst. Werde ich eine Spritze bekommen?“

„Du hast das Meer überquert, wurdest geschlagen und verfolgt… und jetzt hast du Angst vor einer Spritze?“

„Oh ja, ich hasse es!“
Als die Sanitäter die Behandlung abgeschlossen haben, wollte der dritte Freund auch noch behandelt werden. Er zeigte sein 5 mal 5 mm großes Pflaster auf dem Rücken. Daraufhin mussten alle lachen. Seine Freunde fragten den Arzt, ob er ihn nicht auch operieren möchte. Der Arzt meinte mit einem Augenzwinkern: „Natürlich! Wir sind hier in Deutschland. Wir machen alles gründlich. Und jeder kommt hier unters Messer.“ Die drei hatten seit drei Tagen nicht mehr geschlafen.

Gespräch 6

Ein Mann kam mit seiner blinden Frau zu den Sanitätern. Beide wollten etwas gegen eine Erkältung. Er sagte, seine Frau wäre durch chemische Waffen erblindet. Ich fragte durch wen. Er sagte durch Al-Assad. Er wolle sie in Deutschland behandeln lassen. Sie benötigt eine Transplantation. Er wollte wissen, wo in Deutschland die besten Behandlungsmöglichkeiten sind.
Ich sprach nur ca. 15 Minuten mit ihm und trotzdem entschuldigte er sich mehrmals, so viel meiner Zeit beansprucht zu haben.

Gespräch 7

Ein junger Mann (ca. 25 Jahre alt) ist mit der 5 Jahre alten Tochter seiner Schwester unterwegs. Ihre Eltern wurden im Krieg getötet. Er ist nach Deutschland gekommen, um sie zu seinem verheirateten Bruder in Stuttgart zu bringen. Er sagte: „Ich bin ein alleinstehender junger Mann. Wie soll ich für sie sorgen, wie soll ich sie erziehen? Ich kann sie nicht alleine lassen. Ich muss sie zu ihm bringen. Mein Bruder und seine Frau können sich um sie kümmern“ Er erzählte mir, dass sie in einem Boot über das Meer kamen. Das Boot ist dabei gekentert. Beide mussten daraufhin 9 Stunden lang im Wasser überleben. Als er in der Türkei ankam, wurde er eingesperrt, kam jedoch wieder frei.

Gespräch 8

Ich traf einen jungen Mann. Er war vielleicht 30 Jahre alt. Er fiel mir bereits bei seiner Ankunft auf. Denn er war zwischen 1,90 und 2 m groß und half den anderen Flüchtlingen. Am Anfang war ich mir nicht sicher, ob es nicht auch um einen Helfer handelt. Auch wenn er durch die Reise etwas abgemagert war, strahlte er Stärke aus. Er kommt aus Deraa. Dort gingen die Aufstände los. Das ist dort, wo ganz am Anfang die Kinder vom Regime ermordet wurden. Er sagte, dass diese Kinder zu seiner Familie gehörten. Deshalb musste er flüchten. Er war mit seinen Eltern, seiner Schwester und deren Ehemann unterwegs. Er kam auf mich zu, nahm mich zur Seite, schaute mir tief in die Augen und sagte:

„Ich habe eine Frage und bei Gott ich flehe dich an, sei ehrlich zu mir.“

„Ich habe keinen Grund jemanden anzulügen. Ich bin weder von einer Organisation noch von der Regierung. Ich bin hier um zu helfen.“

„Du kannst mir die Wahrheit sagen. Bitte. Stimmt es, dass Deutschland uns zurück nach Syrien schicken wird?“

„Nein, niemals, Sie haben nicht das Recht dazu. Es gibt Gesetze die das regeln.“

„Bitte, sei ehrlich zu mir, sag mir die Wahrheit. Jemand hatte mir gesagt, dass sie uns zurück schicken werden.“

„Nein niemals. Ich hab zwar nichts zu sagen, aber darauf gebe ich dir mein Wort.“
Er bekam Tränen in die Augen und schien erleichtert. Ich sagte ihm, er brauche in Deutschland keine Angst haben. Mir selbst kamen auch die Tränen. Er sagte mir, dass er grundsätzlich keine Angst hat. Jedoch macht es ihm der Gedanke große Sorgen, dass diese schreckliche Reise umsonst gewesen sein könnte. Er erzählte mir, dass sie in Ungarn für eine Schlepperfahrt 200 Euro pro Person bezahlen mussten. Sie wurden in 2 Autos transportiert. Das Auto mit seiner Familie verschwand auf einmal. Der Schlepperfahrer, bei dem er mitfuhr, erpresste ihn. Er überwältigte den Schlepperfahrer, nahm ihm Papiere und Autoschlüssel ab und sperrte ihn in den Wagen. Dann rief er die Polizei und konnte dadurch seine Familie wiederfinden. Er ist professioneller Handballer und hat in den Emiraten gelebt. Er möchte in Deutschland Handball spielen oder als Trainer tätig werden.
Er fand sogar im Lager, noch während wir uns unterhielten, einen Freund wieder, den er in Österreich aus den Augen verloren hatte.

Gespräch 9

Ein syrisches Paar floh zunächst nach Ägypten. Nach Al-Sissis Putsch wurden sie verfolgt und flüchteten nach Libyen wo sie in ein Schlepperboot einstiegen. Das Schlepperboot war mit 400 Mann besetzt. Mitten auf dem Meer stellten die Schlepper jedoch fest, dass das Boot ein Leck hatte und sie verließen das Boot. Acht Tage dauerte es, bis sie von einem deutschen Öltanker aufgegriffen wurden. Der Tanker war auf dem Weg nach Ägypten. Nachdem die Flüchtlinge aber erklärt haben, dass sie in Ägypten verfolgt werden, brachte die Besatzung sie nach Kreta. Die Frau trug ein Kopftuch und erzählte mir alles, während sie von einem männlichen Sanitäter behandelt wurde. Ihr Mann saß daneben. Er hatte 2 kaputte Zähne und musste zum Zahnarzt.

Gespräch 10

Eine junge Frau bringt Ihre Schwester zu den Sanitätern. Sie ist selber Krankenschwester. Sie selbst spricht gut Englisch und denkt, dass ihre Schwester einen Sonnenstich hat. Sie sind in Ungarn 70 km in der Sonne gelaufen. Sie kommt aus Deraa und ist mit Ihrer Schwester und ihren Eltern unterwegs. Sie wollte nicht fliehen. Jedoch sie hatte Angst um ihre Familie. Sie erzählt, dass das syrische Volk sich gegenseitig zerfleischt. In den beiden Armeen gibt es gute und schlechte Menschen. Ich fragte nach dem IS. Sie sagte, dass der IS in Ihrer Region noch kein Thema war. Er sei sowieso erst sehr spät in dem Konflikt aufgetaucht. Sie sagte, dass sie in Ungarn wie Tiere behandelt wurden und weiter:
„Hätte ich gewusst, wie anstrengend die Reise wird, wäre ich nicht geflüchtet.“
„Aber was hättest du dort getan? Vielleicht wärst du gestorben..“
„Ich bin Krankenschwester. Ich habe dort so viel gesehen, sodass der Tod zum Alltag geworden ist. Ich habe keine Angst vor dem Tod.“
Später habe ich sie nochmals einen anderen Flüchtling zu den Sanitätern bringen sehen. Sie blieb dort, um sich um ihn zu kümmern. Es war mittlerweile 5 Uhr morgens. Geschlafen hatte sie immer noch nicht.

Gespräch 11

Es ist 6 Uhr morgens. Zwei junge Männer sitzen am Klavier und spielen Musik. Ich setze mich zu ihnen und höre zu.

„Woher kommt ihr?“
„Aus dem Irak.“
„Du spielst gut.“
„Eigentlich bin ich Aoud Spieler. Klavier ist nur ein Hobby.“

 

Nachtrag zu Gespräch 10

Am 20.10.2015 war ich in der Unterkunft in der Dennisstr., um mir diese anzuschauen, da ich sie bisher noch nicht kannte. Ich traf zufällig eine junge Frau wieder, die ich vor fast anderthalb Monaten in der Unterkunft in Messestadt kennen gelernt habe. Sie erzählte mir, dass sie und ihre Familie nach Stuttgart in eine Unterkunft gebracht wurden, dort 13 Tage verbrachten und dann wieder zurück nach München gebracht wurden. Registriert wurden sie immer noch nicht . Als sie mir das erzählte schien sie sehr niedergeschlagen. Und es tut weh zu wissen dass sie und ihre Familie sinnlos hin und her geschickt werden. Ich frag mich was das soll?

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